Ach? Schon wieder ein Jahr vorbei? Man sagt ja oft am Ende des 12-Monats-Zyklus, dass dies ein auf irgendeine Art und Weise besonderes Jahr war, aber man-o-man: 2021 war schon ein besonderes Jahr. Und wenn ich darauf zurückblicke, dann steht es für mich persönlich für drei Dinge:

1. Es war einfach nur „viel“ (positives, negatives, neutrales, viel)

2. Ich bleibe erschöpft aber alles in allem glücklich zurück

3. Musikalisch erinnere ich nur wenige Jahre, in denen ich so viele tolle Neuerscheinungen kaufen wollte und es auch tat. Haus-Hypothek ahoi, ich bau mir lieber eine Bleibe aus Silberlingen und Schellack.

Um mein alljährliches „Best of“ zusammenfassen und in den Äther blasen zu können, musste ich ein wenig abweichen vom Muster der vergangenen beiden Jahre: Bisher versuchte ich, fünf Alben aus fünf unterschiedlichen Genres in die Liste zu packen (siehe 2019 und 2020) – da es aber eine rein subjektive Liste ist und dieses Jahr ganz besondere Veröffentlichungen aus insbesondere zwei Genres mein Herz erobert hatten, werde ich meinem Herzen folgen und ebenjene Alben benennen. Und ich kann und werde mich also nicht an Zahlen/Ränge binden – einzig ein Album werde ich auf Platz eins hieven.

 

Kapitel 1: Dieses Mal ohne poppige Elektronik

Bei Pop und elektronischer Musik fand ich in diesem Jahr weniger für mich Herausragendes: So richtig gut ging es mir nur mit Tobias Bernstrup und auch wenn ‚Petrichor‘ einige Hits auf Lager hatte, ist es für mich kein Album des Jahres. Ähnliches gilt für Rummelsnuff: die ‚Äquatortaufe‘ hat zwar mit jedem Hördurchlauf zugelegt, aber das gilt nur für die Hälfte der Songs, der Rest kommt über nett nicht hinaus. Und auch Deine Lakaien verzauberten mich zwar mit einer genialen Single/Coverversion und einem tollen Auftritt beim Prophecy Fest, ‚Dual‘ selbst bleibt aber eines von vielen Lakaien Alben. Und Abba sind nur noch ein Schatten ihrer selbst.

 

Kapitel 2: Goth is not spelled t-e-c-h-n-o

Ach ja, in diesem Jahr fand sich doch der ein oder andere Titel, zu dem ich gerne im Düstertempel getanzt hätte. Kælan Mikla sind neu dabei (die Kritik folgt noch), das tolle Solo Projekt Voyna und Broken Links sind hier zu nennen, elektronisch war man mit Dark und Denuit sehr gut beraten, aber für diesen Artikel belasse ich es bei einem wirklichen Brett:

Whispering Sons – Several Others

Das zweite Album dieser Band toppt das Debüt locker – und das, obwohl die Messlatte verdammt hoch hing. Wer mit der eigenwilligen Stimme von Sängerin Fenne Kuppen und dieser Art Indierock etwas anfangen kann, der muss einfach den Geldbeutel zücken: Musik, die unter die Haut geht und ein Album, das Abwechslung bietet, ohne zerfahren zu wirken. Und nur Hits. (Bandcamp)

 

Kapitel 3: That’s all folk(s)

:of the wand and the moon: enttäuschten mich mit einem nur guten Album nach 10 Jahren langer Wartezeit – ich bin ungerecht, aber so ist es eben mit dem Geschmack und Gefühl. Ansonsten ging im Folk der Punk ab – man denke nur an das zauberhafte Album von Byrdi und ein weiteres gutes Album von Rome. Hier aber unterstreiche ich die Qualität von:

Lingua Ignota – Sinner get ready

Seit der ersten Veröffentlichung ist Lingua Ignota Bewältigungsmusik, die in die Magengrube fährt. Jedoch konnten die beiden Durchbruchalben ‚All bitches die‘ und ‚Caligula‘ mich nicht ganz so verzaubern, wie die brutalen, verstörenden Anfänge. Doch 2021 ist alle Brutalität subtil drohend in die friedlichen Kompositionen integriert und ‚Sinner get ready‘ ein Werk, bei dessen Konsum man sich lieber dreimal umsieht, weil da sicherlich irgendetwas lauert. (Bandcamp)

Wardruna – Kvitravn

Was soll man sagen: Besser geht diese Form nordischer Folklore und Mystik wohl kaum. Selbst gebaute Instrumente, der Blick in die Unendlichkeit und eine Ernsthaftigkeit, die jeder Anschuldigung von Kitsch trotzt – Warduna sind eine Klasse für sich und haben 2021 ein Werk geschaffen, bei dem weiter an der Hörbarkeit geschraubt wurde, ohne dass es belanglos wirkt. Fantastisch. (Homepage)

Dornenreich – Du wilde Liebe sei

Sperrig, ungewohnt und unbeirrt den eigenen Weg, auch gegen den Willen der Fans, beschreitend ist das neue Album der Österreicher ein Stück pure Poesie. Wieder agiert man instrumental sehr minimal und ich brauchte eine Weile, um die Perkussions wirklich genießen zu können. Inzwischen aber bin ich mitgerissen und hoffe darauf, die Band bald in Wien sehen zu können, denn (auch wenn mir sicherlich einige nicht zustimmen werden) ‚Du wilde Liebe sei“ ist in den Top drei aller Dornenreich Alben zu verorten – in meinen Ohren vielleicht sogar ganz oben auf dem Treppchen. (Bandcamp)

 

Kapitel 4: Schätze aus dem Dungeon

In diesem Jahr verirrte ich mich oft in fantastische Welten aus der Keyboardkonserve – das Sub(Sub)Genre Dungeon Synth bringt weiterhin quasi täglich eine Flut neuer, schnell eingespielter Alben ins Netz und unter hundertfacher Ausschussware fanden sich Perlen, die mein Jahr unglaublich verschönert haben. Und das nicht wenig, denn ich kann die neuesten Streiche von Aindulmedir, Fen Walker, Desolation Plains, Unsheathed Glory, The Sage of Seers, Goblintropp und Feudum ausgesprochen empfehlen, aber es waren doch folgende drei Alben, die es mir besonders antaten:

Ithildin – A long-expected Party

Mit dem ruhigen, sehr entspannten Nachmittag im Hause Beutlin beginnt die kleine Reise. Das Projekt Ithildin schafft es mit wenigen Mitteln, dass man sich wohl fühlt und zur Tür blickt, weil da jeden Moment Besuch eintreten könnte, um das Leben zu in Gesellschaft und Geselligkeit zu genießen. Die nachfolgende EP erfüllte dann leider nicht meine Erwartungen, da zwei der drei Titel neue Wege gingen, aber dieses Album hier sollte man sich gönnen. (Bandcamp)

Castle Zagyx - Doors to the battlefields of Ertbe

Wenn ich mich auf ein Adjektiv für dieses Werk festlegen sollte, dann wäre es wohl opulent: Castle Zagyx ist es mit dem neuesten Streich gelungen, die Atmosphäre eines nie entstandenen, neuen Conan Filmes einzufangen und es tauchen wie von alleine Bilder vor dem geistigen Auge auf, die vielleicht nicht von hoher Filmkunst zeugen, aber von Jungs/Nerdsträumen voller Helden, einfachen Problemen und handfesten Lösungen. Ein wirklich GROSSartiges Album. (Bandcamp)

Oublieth - À l'ombre du royaume en cendres

Wir hatten ruhig und entspannt, wir hatten bombastisch und opulent und Oublieth runden die Dungeon Synth Melange ab mit traumgleich und hypnotisch. Die perfekte Mischung aus Sounds, die an den Blade Runner OST erinnern und dem Genre, das eher in Fantasy Welten verortet wird, ist so wundervoll und eigenwillig wie das wunderschöne Coverartwork. Ich bin verzaubert und lasse mich auch seit dem Release immer wieder aufs Neue verzaubern. (Bandcamp)

 

Kapitel 5: Schwarzwurzeln, lecker zubereitet

Auch bei meinem liebsten Genre fand sich in diesem Jahr so einiges Erwähnenswertes: Natürlich sind da Ancient Wisdom und Ancient Mastery, so verschieden, so gut. Kanonenfieber bliesen mich mit einem melancholisch hoffnungslosen Sperrfeuer weg, Surturs Lohe gefielen mir trotz Abneigung gegen das Subgenre und The flight of sleipnir brachten ein weiteres bockstarkes Stoner Black Metal Album heraus. Und dann verfehlten Empyrium auch nur knapp mein Treppchen – was für ein fantastisches Jubileumsalbum war ‚Über den Sternen‘ bitteschön? Aber es gibt da drei Alben, die mir einfach noch etwas mehr gaben:

Dordeduh – Har

Wenn eine Band mit einer Spielart, die man selbst meist eher weniger mag, so sehr überzeugen kann, dass man ihr Album rauf und runter hört, dann ist das in meinen Ohren etwas Besonderes. Ich bin kein großer Freund komplexer, progessiver Strukturen im Metal, mag es gerne knackig und direkt. Dordeduh sind alles außer direkt und ‚Har‘ ist trotz allem ein Album, mit dem ich jedem in meinem Umfeld auf den Geist ging – was für ein Brett. (Bandcamp)

Iscuron – The pursuit of unhappiness

In nur einem Jahr zwei Alben – das kann doch nichts werden. Massenware. Lassen wir mal außen vor, dass es auch in der Vergangenheit bereits Gegenbeispiele für dieses Vorurteil gab: Das zweite Werk des schrillen Projektes Iscuron ist ein Knaller – mal elektronisch, mal symphonisch, oft schräg wie Bal Sagoth und immer etwas „drüber“ sind die 41 Minuten Spaß pur für Freunde zu schneller Drumcomputer, besonderer Keyboards und geiler Melodien, die in den Nacken fahren. Ich muss bereits beim Gedanken an die tollen Songs zugleich schmunzeln und mich vorfreuen auf den nächsten Durchlauf. (Bandcamp)

Këkht Aräkh – Pale Swordsman (der deutliche 1. Platz)

Tja, was soll man sagen? Als es erschien, wusste ich, dass dieses Album etwas Besonderes in sich trägt. Etwas, das mich berührt und das mich noch lange festhalten wird. Ich habe in den letzten Jahren viel Musik gehört, aber der ‚Pale Swordsman‘ hat mich gefesselt wie kein anderes Album seit seeeeeehr langer Zeit. Warum eigentlich? Ich mag keinen stumpfen Black Metal im Stile Dark Thrones, die Pianostücke sind so minimal, die können doch nicht Besonders sein und 30 Minuten Spielzeit ist ne bessere Ep…? Aber ‚Pale Swordsman‘ erzeugt mit seinen wenigen Mitteln einen Zauber, eine Atmosphäre melancholischer Sinnlichkeit und Einsamkeit, die ihres gleichen sucht. Und seitdem ich nun, nach Monaten der Lieferverzögerungen, auch stolzer Besitzer der LP und CD bin, kann das fantastische Artwork auch meine Hallen verschönern. Dieses Projekt braucht Aufmerksamkeit, ein größeres Label und ganz viel Glück, an ein solches Werk überhaupt anschließen zu können. Bis dahin aber braucht eigentlich jeder, auch diejenigen, die mit Black Metal nichts anfangen können, zumindest einmaligen Kontakt mit dem ‚Pale Swordsman‘. Wirklich. (Bandcamp)

 

Gurkenparade

Wenn man einmal schaut, wie viele Rezensionen ich da rausgebuttert habe in 2021, dann ist es nicht weiter verwunderlich, dass da auch jede Menge Ausschuss zu hören war. Ich möchte aber nicht auf dilettantischen Amateurproduktionen herumreiten. Ich hebe lieber meine drei Alben hervor, die mich persönlich enttäuschten oder nervten, auch wenn ihre Qualität eventuell nicht im ganz unteren Segment zu verorten ist.

Wumpscut - fledermavs 303

Warum nur, Rudy, warum? Nach Jahren der lieblos wirkenden Massenproduktion von Stangenware mit wenigen dezenten Lichtblicken hatte er :wumpscut: doch eigentlich zu Recht für beendet erklärt. Aber nein, nach viel zu kurzer Pause wird ein weiteres Werk rausgehauen. Ich bin baff, denn 2021 klingt das Solo-Projekt noch lieb- und belangloser als vor dem verkündeten Aus. Warum also weitermachen? Und warum wird nun schon wieder ein weiteres Werk angekündigt – fängt das jährliche Sperrfeuer aus dem hause Beton Kopf Media schon wieder an? Abducken und weghören!

Retrojunkies – Computer sucht Liebe

In der Masse an Alben, die wirklich nicht prall waren, stach dieses Werk so heraus, da Selbstwahrnehmung der Band und meine Wahrnehmung als Hörer so weit auseinandergingen, dass ich fast von Grenzerfahrungen sprechen möchte. Insbesondere die Texte stießen mir bitter auf, aber es ist das Gesamtpaket, dass beeindruckt. Unbedingte-Nicht-Reinhör-Empfehlung

Xasthur – Victims of the times

Das ehemalige Underground-Flagschiff des Depressive Black Metal aus den USA kehrt mit Akustikgitarre und Sozialkritik ambitioniert und im Herzen eventuell mit der richtigen Einstellung zurück. Die präsentierte Musik kann aber schon fast als adäquates Instrument der Qual für Ohr-Masochisten beschrieben werden. Die immergleiche, leiernde und kaum strukturierte Melodie wird über 69 Minuten erbarmungslos wiederholt, zu Grabe getragen und dort weiterhin bewegt. In einem Jahr voller Musik, guter und weniger relevanter, ist Xasthur mit weitem Abstand das grützwurstigste Album, weil es Dilettantismus unverhohlen als professionelle Veröffentlichung verkauft.

 

Und damit komme ich zum Ende - ich wünsche allen Lesern und ihrem Anhang ein paar ruhige tage zum Jahresabschluss und ein kommendes Jahr 2022, das zumindest nicht zu viele Unsicherheiten und Plagen (gesundheitlich, gesellschaftlich und politisch) mit sich bringt, wie die vergangenen zwei Jahre. Mögen wir alle ganügend Raum haben, um Musik genießen zu können und genügend Job, um Künstler unterstützen zu können.

Und zum Abschluss kommt der besondere Platz im Herzen: Hagalaz‘ Runedance

Ja, das Projekt gibt es seit dem wunderschönen Abschlusswerk ‚Frigga’s web‘ 2002 nicht mehr. Aber 2021 wird für mich dennoch mit der Musik von Andréa Meyer Haugen verbunden sein, ist sie doch eines der Oper des Attentats von Kronberg, bei dem ein Mann mit Pfeil und Bogen anscheinend wahllos auf Passanten schoss. Die 52jährige war über die Jahren an vielen und sehr unterschiedlichen Projekten beteiligt, aber gerade die dreieinhalb Alben unter dem Banner Hagalaz‘ Runedance sind mir lieb und teuer und ich linke auf den für mich schönsten Song. Ruhe in Frieden, Andréa.