Dordeduh? Ist das nicht das neue Projekt von Sol Faur und Hupogrammos, nachdem sie bei Negură Bunget ausgestiegen waren? Ja, meinen inneren Vermerk kann ich fast so stehen lassen, nur liegen Bandgründung und aktuelles Werk ganze 12 Jahre auseinander. Zudem kommen die insgesamt vier Rumänen gut ohne die Nennung der „anderen“ Band aus: Man kann sogar so weit gehen zu sagen, dass im letzten Jahrzehnt Dordeduh mit ihrem Debüt ‚Dar de duh‘ deutlich mehr beeindruckten. Und inzwischen hat das einzig verbliebene Bandmitglied Negru die ehemalige musikalische Instanz progressiven Folk/Extreme Metals, Negură Bunget, auch zu Grabe getragen, nachdem der zweite Teil der geplanten Transylvanian Trilogy an Belanglosigkeit scheiterte. Wie aber klingen denn nun die verkopften Metaller Dordeduh aus dem Osten Europas acht Jahre nach ihrem Debüt?

Fantastisch! Ganz fantastisch!

In diesem großartigen Jahr für die letzten Lücken in meinen Regalen sind Dordeduh eine weitere Kirsche auf der Sahnehaube all der guten Veröffentlichungen. Und das wirft mich um, denn eigentlich ist diese Spielart nicht wirklich meins: konnte ich das Debüt und auch die Musik des Vorgängerprojektes immer als besonders und hochwertig erkennen, so hatten die Alben nie eine Chance, wirklich mein Herz zu erobern, vor allem nicht auf lange Sicht. Zu verkopft, zu progressiv im Songwriting, episch-lange Songs, vielschichtig und wandlungsfähig. Vertrakte Musik, nur für ganz aufmerksame Hörer. Also nicht für mich. Und auch konzeptionell schweben die Herren in Sphären, in denen ich mein Interessensgebiet nicht verorte. Dies zeigte mir nicht nur das Coverartwork, sondern auch folgende Inhaltsangabe, die mir klar machte, dass ich selbst dann kaum Zugang zu den Texten finden würde, wenn nicht die Sprachbarriere bestehen wäre:

„This album emerged from the concept of creating music that would encourage the listener to connect to the immortal core. Deep inside our consciousness, a cosmic heritage is buried and waiting to be surfaced. We all are on a trail to that inner essence. There is a personal and a collective history encapsulated in us since the beginning of the time. The title of the album, HAR, could be translated as grace, talent, or as being gifted, but it stands more for a “divine” sort of being gifted. To be “cHARismatic” is to be infused with grace, with “har”. This is the only link that connects one with transcendence.“

Wie schaffen es Dordeduh nun trotzdem, dass ich ‚Har‘ immer und immer wieder gerne höre – und das seit mehreren Wochen? Im Kern sehe ich sie als Folk Metal Band, die schwarzmetallischen Anteile haben sich in meinen Ohren endgültig in Melodic Death Metal gewandelt: Growls und wuchtiges und verspieltes Gitarrenspiel sprechen da eine deutliche Sprache. Es gibt aber viele Anleihen an Prog Rock Klänge der Marke Pink Floyd, dann wieder beschwingte Melodien, die Pop Musiker für ihre Refrains nutzen würden und episch orchestrale Klangwände, die gegen die Gitarren aufspielen. Dann und wann schwingen rhythmische Elektrosounds mit (besonders genial in „Vraci de nord“), es kommen Spoken Word Einlagen zu sanften Keyboardsounds, eine fast schon an rituellere Folkkost erinnernde Einlage wie „Calea magilor“), Goth Rock Elemente halten Einzug und zusammengefasst kann man ‚Har‘ circa alle zwei Minuten in ein anderes Genre sortieren. Und trotz all dieser Irrfahrt durch Melodien, Taktwechsel und Stimmungen halte ich ‚Har‘ für ungemein eingängig und angenehm konsumierbar. Definitiv kein Easy Listening, aber Dordeduh haben da so bezaubernde, mitreißende und beeindruckende Parts ineinander gewoben, dass ich auch bei einem Durchlauf im Hintergrund nicht gestört bin von einem melodischen Hin-und-Her oder der Sache gar nicht folgen kann. Vielmehr zeigten mir gerade diese Hördurchläufe, wie sehr ich mich an bestimmten Parts erfreue, gleichzeitig aber zu keinem anderen Zeitpunkt skippen möchte. Dordeduh gelingt es in meinen Ohren ganz fantastisch, herausfordernde Musik zu komponieren, die aber auch Genreunkundige verstehen und genießen dürfen und können.

Spielerisch wird so einiges geleistet: Neben der Metal-Band Grundausrüstung und den bereits aus Negură Bunget Tagen bekannten und bewegenden Keyboards werden zahlreiche natürliche Instrumente aus der Folklore bedient. Hinzu kommen wütende Growls, angenehmer Klargesang, Choreinlagen und ab und an gesprochene Sequenzen. Das alles auf hohem Niveau und wundervoll abgemischt – als bekennender Growls-Verachter ist mir dieses Element zu klar, zu laut in den Mix eingefügt, aber das liegt wohl eher an meiner Abneigung. Anspieltipps? Das oben genannte „Vraci de nord“ und „Descânt“ sind meine Favoriten, bei denen ich inzwischen auch die Struktur und Melodiereihenfolge verinnerlicht habe. Letzteres findet ihr weiter unten als Video - nehmt euch unbedingt mal diese acht Minuten Zeit. Und ansonsten? Bis auf die beiden Zweiminüter, die eher Mittel zum Zweck als wirkliche Bereicherung sind, kann ich alle überlangen Titel dieser wuchtigen Stunde Musik empfehlen.

Es ist wie es ist: Dordeduh verzaubern mich mit Musik, die mich im Normalfall abschrecken würde. Sie laden mich ein, es doch noch einmal zu versuchen und so kann ich nicht anders, als in ‚Har‘ ein weiteres wirklich großartiges Album für die Bestenlisten dieses Jahres zu erkennen. Persönlich empfinde ich ‚Har‘ als weitaus mitreißender, zugänglicher und für mich interessanter als „Dar de duh“. All jene, die progressive Gitarrenmusik schätzen, müssen hier reinlauschen, Fans der Musiker tun es sowieso und Freunden harter Kost empfehle ich ein vorsichtiges Schielen über den Tellerrand. Es muss ja nicht immer alles trve sein, man darf auch andere Sachen einfach mal gut finden. Daumen hoch und halleluja!

 

Dordeduh

Har

 

14.05.2021

prophecy productions / SPKR

 

https://dordeduh.bandcamp.com/album/har

 

01. Timpul întâilor
02. În vieliștea uitării
03. Descânt
04. Calea magilor
05. Vraci de nord
06. Desferecat
07. De neam vergur
08. Văznesit