2014 gab man an, vorerst einmal keine neuen Alben zu planen. Man schuf sich mit dem letzten Album ‚Freiheit‘ eine ebensolche und so wurde es zumindest ein wenig stiller um Dornenreich. Sieben Jahre scheinen nun eine ausreichend lange Zeit gewesen zu sein, um den Fokus neu zu setzen, neue Ideen zu sammeln und wie so viele andere Labelkollegen im Jubiläumsjahr von Prophecy Records ein besonderes Werk herauszubringen. Warum es mir Dornenreich durchaus schwer gemacht haben, ich aber schlussendlich ‚Du wilde Liebe sei‘ als stärkste Veröffentlichung seit ‚Hexenwind‘ sehe und als ein weiteres der ganz großartigen Werke, die bisher in diesem Jahr herausgekommen sind, das lest gerne im Folgenden:

Wir erinnern uns: Die Demo ‚Mein Flügelschlag‘ und das Debüt ‚Nicht um zu sterben‘ noch recht traditioneller Black Metal, ‚Bitter ists, dem Tod zu dienen‘ dann schon mit Evigas einzigartigen Vocals und melodisch wilder Hysterie und ‚Her von welken Nächten‘ dann eher Dark Metal mit viel eigenwilligem Wahn – die beiden letztgenannten Alben in den Ohren vieler Fans sicherlich die Höhepunkte in der Diskographie Dornenreichs. Das wundervolle ‚Hexenwind‘ entschleunigte dann und spaltete damit die Meinungen, ‚Durch den Traum‘ ging in eine doomige Ambient Metal Richtung und Eviga flüsterte inzwischen ausschließlich – die Metal Heads waren traurig. ‚In Luft geritzt“ ein wirklich gutes Stück Folk, an der Oberfläche simpel, aber melodisch ein wahrer Rausch. ‚Flammentriebe‘ dann wieder mehr Metal, aber (und so erging es mir auf lange Sicht mit diesem und dem folgenden Album ‚Freiheit): Dornenreich wiederholten sich zum ersten Mal in ihrer Karriere und die beiden Alben sind gut, aber bei weitem nicht so beeindruckend, wie jedes einzelne der Vorgängeralben (auch wenn ich mich da wohl mit meinem ich aus der Vergangenheit anlegen werde, dass wesentlich euphorischer von diesen Alben schrieb). So der aktuelle Stand, Dornenreich ein wandlungsfähiges Chamäleon, das seine Fans immer wieder auf die Probe stellt, Eviga ein genialer Musiker mit absolutem Willen, seine Vision kompromisslos zu verfolgen. Und ‚Du wilde Liebe sei‘?

Ich habe das Album inzwischen wirklich oft gehört, ich musste es mir erarbeiten, ich musste es mit einem guten Freunde lange reflektieren. Denn die ersten Durchläufe waren schwierig. Das liegt in großen Teilen an zwei Veränderungen im Sound, die ich erst verarbeiten und wertschätzen lernen musste: Zum einen werden die meisten Stücke von Percussions begleitet, statt von traditionellem Schlagzeug oder quasi gar nicht außer einigen Schellen (wie in ‚In Luft geritzt‘). Und die dadurch entstehende, etwas behäbige Gleichförmigkeit und diese Form der Rhythmik zusammen mit den Elementen aus Folk und Folk Rock – ich bin mir bis jetzt nicht sicher, ob ich diesen Sound wirklich gut finde, auch wenn es inzwischen in meinen Ohren sehr gut passt. Aber es war eine herausfordernde Umstellung. Und ähnlich ging es mir mit Evigas Gesang: Dornenreich stehen in meinen Augen seit jeher für genial-kreative, eigenwillige, stille und doch wahnhafte musikalische Kunst, wundervoll poetische Texte und Markus Stocks unfassbar eigenwilligen und einzigartigen Gesang. Als Kreischer oft extrem hoch, schrill und für mich die gute Version eines Dani Filth, aber durch den Wechsel zum Flüstern und Gesang ein wahrer Tausendsassa. Ich wünsche mir Hörbücher eingelesen von ihm und Oswalt Henke, um mich dann zitternd unter der Decke zu verkriechen. Und 2021 kommt nun eine Veränderung: Eviga singt, raunt und brüllt an vielen Stellen tiefer als früher. Und als im Geiste eher unbeweglicher Fan mag ich es nicht, wenn die einzig stabile Konstante nun auch noch in Bewegung gerät. Es erging mir auf dem Album wie bei ‚Old mornings dawn‘ von Summoning oder Nocte Obductas ‚Nektar‘ – Wenn der Gesang sich verändert, muss ich erst einmal Abschied nehmen vom alten Klang und dann versuchen, die neue Version zu begrüßen. Geht inzwischen auch, ich bin mir aber sicher, ‚Du wilde Liebe sei‘ hätte mir schneller gefallen, wenn die Percussions etwas dezenter eingebaut und der Gesang wie gewohnt wäre. Aber vielleicht wäre ich dann nicht so nachhaltig begeistert gewesen, denn nur sehr häufiges und konzentriertes Hören brachte die Schönheit des Werkes hervor:

Ich glaube, es ist eines der eigenwilligsten Werke in der Diskographie: Es ist nicht Folk, es ist nicht Rock, Metal schon gar nicht – Es ist eine homogene Mischung aus bestimmten Elementen des bisherigen Treibens Dornenreichs, verknüpft mit einer durch die Percussions gleichförmige Entspannung und einigen Momenten, in denen ich an Ost Rock denken muss. City, Sternkombo Meissen, Renft, … Das Kerngehäuse ist wohl (Folk) Rock mit Inves wundervollem Violinenspiel, Akustikgitarren und minimal verzerrten E-Gitarren und den Percussions von Gilván. Alle Emotionalität, alles Spiel mit Effekten, Druckaufbau und (sanften) Agressionen wirkt nicht nach einem Muster platziert, sondern schlüssig im Lied / Text verankert. Es findet sich auch nicht das Schema „Jetzt Folk, jetzt Metal“, wie es auf den beiden Vorgängern der Fall war. Die Lieder sind unabhängig von ihrer Länge abwechslungsreich und jeder Durchlauf ein Erlebnis – aber wie bei kaum einem anderen Album in den letzten Monaten sehe ich für mich eine volle Kopfhörer- und Konzentrationspflicht, um wirklich erfassen zu können, welche Reise man als Hörer unternimmt.

Textlich arbeitet Eviga gewohnt kunstvoll und nähert sich der im Titel bereits benannten Liebe an: schemenhafte Kitschbilder oder emotionale Poesie – das kann der Hörer für sich entscheiden. Ich als Fan der bisherigen Lyrics bin auch hier ganz angetan, weiß aber um meine Befangenheit.

Deswegen bleibt mir eigentlich nur, mich über ein weiteres wirklich schönes Album im musikalisch großartigen 2021 zu freuen und es wie warme Semmeln zu bewerben: Dornenreich sind speziell und haben es in meinen Ohren so sehr wie noch nie geschafft, Evigas eigenwilligen Gesang und Texten einen mindestens ebenso eigenwilligen Sound entgegenzusetzen. Ich halte dies für eine wirklich erfreuliche Weiterentwicklung, auch wenn ich zunächst arg herausgefordert war. Unbedingte Reinhörempfehlung - meine Fovoriten "So ruf' sie wach das Sehnen", "Liebes dunkle Nacht", "Das Sehnen von Mond und Sonne" und das tränentreibende "Freiheit erlösen" sind zwar derzeit noch nicht als Videos im Netz zu finden, aber da es keine Ausfälle auf dem Album gibt, dient jeder andere Titel genauso gut!

 

Dornenreich

Du wilde Liebe sei

 

11.06.2021

prophecy productions

 

https://dornenreich.bandcamp.com/album/dornenreich-du-wilde-liebe-sei-luxus

 

01. So ruf' sie wach das Sehnen
02. In Strömen aus Verwandlung ein flackerloses Licht
03. Dein knöchern' Kosen
04. Liebes dunkle Nacht
05. Der Freiheit Verlangen nach goldenen Ketten
06. Sie machen Mangel zum Geschenk
07. Das Geheimnis des Quellkosters
08. Das Sehnen von Mond und Sonne
09. Dem Kühnen in der Stille
10. Freiheit erlösen