Multiinstrumentalist, Sänger und Wardruna Herz Einar Selvik und Sängerin Lindy-Fay Hella kehren mit einigen Gastmusikern zurück, um uns mit dem fünften Studioalbum einen definitiven Anwärter für meine subjektive Liste der Album des Jahres 2021 zu präsentieren. Was? Ich verstehe sie nicht? Viel zu früh für solche Aussagen? Erst Ende Januar? Wer noch nicht reingehört hat, der kann es nicht verstehen. Und wer solche Musik nicht mag natürlich auch nicht.

Die Musik von Wardruna greifbar zu beschreiben finde ich ausgesprochen schwer. Man will musikalische Darstellungen alter nordischer Traditionen präsentieren, tut dies ausschließlich unter Einsatz von authentischen Instrumenten und Klangkörpern aus der Natur. So weit, so normal. Aber Wardruna sind nicht so ganz greifbar. Einerseits wunderbar nordische Weisen voller Zerbrechlichkeit bei gleichzeitiger kraftvoller Rhythmik, die mich zeitweise an Hagalaz‘ Runedance erinnert, andererseits aber immer ungreifbar, ätherisch, wie man es eher von Ambientprojekten wie zum Beispiel Heilung kennt. Wardruna machen aber deutlich Musik, die Melodien transportiert aber sich nicht einschmeicheln möchte. Nichts ist lieblich-verklärt, an keiner Stelle will man beeindrucken. Es fühlt sich echt an und nicht „touristisch aufbereitet“, auch wenn Wardruna darauf bestehen, dass sie neue Musik mit alten Mitteln machen und ich darauf bestehe, dass sich der Leser bewusst ist, dass ich keine Ahnung von wirklich authentischer Musik aus früheren Zeiten habe.

Die ersten drei Alben waren zwischen 2009 und 2016 als Teile der Runaljod Trilogie bereits eindrucksvoll und sorgten dafür, dass Warduna quasi an die Spitze des musikalischen Segments schossen. Zu diesem Zeitpunkt war der Sound bereits dem aktuellen sehr ähnlich, wenn man sich auch noch häufiger in dem Ambient nahen Gefilden spielte. Eine beeindruckende Leistung, definitv. Das vierte Album, ‚Skald‘ wurde anschließend live im Studio aufgenommen und war eine reduzierte Version des bisherigen Sounds. Nicht schlecht, aber herausfordernder und für mich persönlich weniger interessant, weil „normaler“?! Auf ‚Kvitraven‘ ist der Sound wieder deutlich opulenter, vor allem aufgrund der druckvollen Trommeln und der Produktion. Ja, an manchen Stellen, wie beim einsetzenden Frauenchor in „Grá“ hat das ganze Potenzial, eine epische Szene aus einem Hollywoodstreifen zu untermalen – aber, und das ABER ist groß: Wardruna klingen in meinen Ohren nicht kitschig. Das liegt an einem kalten Klangbild, monotonen Kompositionen, die einen rituellen Charakter aufweisen und dem Gesang, der immer eindrucksvoll stimmig, nie aber „besonders“ ist. Hier wollen keine Sänger auffallen, sondern man singt eben so, wie die Instrumente eben spielen – alles gehört schließlich zusammen.

66 Minuten fantastische Musik für alle Lebenslagen: Zum Wandern, Abspülen, Tanzen, Träumen und Meditieren. Um gemeinsam zu lauschen oder alleine. Und dabei zu spielen oder um sie mit voller Aufmerksamkeit zu hören. Da es mir wesentlich leichter fällt, die Schwachpunkte zu benennen, möchte ich „Kvit hjort“ benennen, denn das ist nur gut. Alle, und damit meine ich wirklich alle anderen Lieder finde ich bockstark und würde sie als Kaufgrund ausweisen. Der Titeltrack, „Skugge“, „Fjylgutal“ und das abschließende „Andvevarljod“ sind meine Favoriten. Wardruna haben es geschafft, zugänglicher zu sein und doch nichts von ihrem Anspruch zu verlieren. Wow. Ich bin begeistert wie schon lange nicht mehr von einem Album.

 

Wardruna

Kvitravn

 

22.01.2021

Columbia / Sony Music

 

http://www.wardruna.com/

 

01. Synkverv

02. Kvitravn

03. Skugge

04. Grá

05. Fylgjutal

06. Munin

07. Kvit Hjort

08. Viseveiding

09. Ni

10. Vindavlarljod

11. Andvevarljod