Prophecy Fest 2021, Bericht Teil 2
Freitag, 11.09.2021
Balve, Sauerland

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Gegen Mittag wurde das Gelände geöffnet und die Gäste trudelten so langsam ein. Und wieder war es diese unnachahmlich ruhige, urlaubsähnlich entspannte Atmosphäre, die den Vorplatz und nach und nach die Höhle erfüllte, die für mich dieses eher kleine, feine Festival von größeren Veranstaltungen unterscheidet. Es ist den Veranstaltern auch gut gelungen, die Auflagen und Vorsichtsmaßnahmen wegen der Pandemie nicht offen sondern passiv und fast natürlich in das Geschehen einzubauen und auch die große Mehrheit der Gäste nahm Auflagen und Einschränkungen (wie Kombination aus kleinerer Toilette und Container) ohne Widerrede an. Hey, endlich wieder ein Festival, oder?

Und schon schlägt die Spiritual Front eine Brücke zwischen beiden Tagen: War der Freitag recht folk-lastig, so wird es heute rockiger und der leidenschaftliche, aufgeladene Suicide Pop passt da haargenau als Bindeglied zwischen diesen Welten. Die Reihen waren auch recht gut besetzt für die frühe Stunde und die drei Italiener boten eine gewohnt schmissige Leistung mit Songs aus allen Jahren und gewohnt schmachtigem Machismo. Sänger Simone H. Salvatori wies zwar an der ein oder anderen Stelle darauf hin, dass es auch für ihn noch sehr früh sei, aber es hielt ihn nicht auf sein Repertoire schmissiger Bewegungen und leidenschaftlicher Blicke zu präsentieren. Weiterhin würde ich mir wünschen, dass die Band live wieder mit Akkordeon oder wenigstens Keyboard auftritt, da diese Spuren so viel ausmachen im Sound der Band, aber die Finanzen und eine, durch ein weiteres Bandmitglied, fehlende Agilität verhindern dies vorerst (wie mir Salvatori vor der Höhle sagte).

Vergessen wir aber nicht, dass sich viele Gäste des Festes wegen metallischer Klänge eingefunden haben und senken wir etwas die Temperatur: während sich die Sonne draußen gegen die Wolken wehrte, beherrschten in der Höhle Eїs das Geschehen. Schon der Soundcheck machte müde Gemüter munter und auch der Auftritt der Herren war der erste treibende Rausch des Tages. Liegen auch einige Jahre zurück seit dem letzten Release, der Ep ‚Stillstand und Heimkehr‘, so zeigten die Fans der Band deutlich, wie sehr sie sich über den Auftritt freuten. Belohnt wurden sie mit einem professionell dargebotenen Set und einer sympathischen Nähe zum Publikum, die gar nicht so kalt wirkte, wie die Musik vermuten ließ. Tosender Applaus beendete schließlich das Set. Ein voller Erfolg für die Band aus Porta Westfalica, von der sich Fans sicher auch ein neues Album erhoffen.

Ich musste tatsächlich noch einmal rein­hören und meine damalige Kritik lesen, um die für mich wichtige Fragen beantworten zu können: Wer sind E-L-R nochmal? Und was tun sie? Es war, wie im Text zum Debüt 'Mænad' prophezeit: Ich konnte mich an nichts mehr erinnern. Entsprechend verhalten war meine Vorfreude auf die bevorstehende Darbietung. Aber man soll sich ja Fehler eingestehen und ich habe das Trio unterschätzt – live zumindest. Denn auch wenn ich weiterhin kein Fan der Studioaufnahmen der Schweizer bin: Der Auftritt konnte mich mitreißen in einen Mahlstrom drückender Schwere. Wesentlich härter und dadurch greifbarer fraßen sich die Riff-Wände in die Magengegend Die überlangen Doomwalzen verwandelten das Publikum in eine Herde synchron wippender Wackeldackel. Mir imponierte besonders die quasi fehlende Interaktion mit dem Publikum, das zwischen den Titeln auch fast nie Zeit bekam für Applaus. Die beiden Frontdamen spielten und sangen unbeeindruckt von allem monoton-hypnotische Schleifen, in die die Drums Struktur und Druck brachte. Und das alles mit Erfolg: das Publikum wohnte dem Ritual fast geschlossen bei, wippte mit und applaudierte am Ende lautstark. Da waren die beiden Musikerinnen aber bereits von der Bühne verschwunden und nur der Drummer konnte sich noch einmal kurz verbeugen. In meinen Augen kein schlechtes Konzept, das, wenn man es durchhält, die Kraft aus einem möglichen Fankult nimmt und auch der Band helfen könnte, dem Argument „oho, eine weibliche Band" die Basis zu rauben und darauf reduziert zu werden.

Klimt 1918. Den Namen hatte ich lange nicht gehört - fünf volle Jahre, um genau zu sein. So lange ist es her, dass mich das Doppelalbum ‚Sentimentale Jugend‘ zwar nicht umwarf, aber positiv überraschte. Nach Post-Doom sollte nun also die Post bei Post-Punk abgehen und ich bin im Nachgang etwas unterwältigt. Ja, Post-Punk sprüht bereits im Kern des Sounds nicht vor Leben, aber die Ansage "Let's make some noise" wirkte eher um Anerkennung der Metalheads heischend, als wirklich ernst gemeint. Auf der Habenseite findet sich schön entspanntes Material, ein um Abwechslung bemühter Drummer, ein energiegeladener Bassist und der Hauptgitarrist, der irgendwo in anderen Sphären schwebte. Das wirkte alles nicht super tight und routiniert, aber gefiel mir denoch. Jedoch Gitarrist und Sänger Marco Soellner muss ich trotz allem Zugutehalten wegen fehlender Routine kritisieren: Ich mag es einfach nicht, wenn Sänger ihre Texte während des gesamten Auftritts so deutlich ablesen, dass sie bisweilen in der Lautstärke schwanken und Einsätze haarscharf verfehlen. Es wirkt ungemein gehemmt und unterstreicht bestehende Unsicherheiten deutlich. Ansonsten war es ein netter Auf­tritt, die Publikumsreihen etwas gelichtet aber wohlwollend applaudierend - das geht in Ordnung.

Es folgt mein erster Höhepunkt des Abends: Dordeduh stellten ein Set vor, das mitreißend die Massen vor der Bühne fesselte, ein Auftritt, der einfach nur gut war. Klar, die Musiker sind erfahren und ihre spielerische Präzision kein Zufall, aber wenn dieses Vermögen auf komplexe Songstrukturen, mitreißende Melodien und gleichzeitig eine sympathisch nahbare Art treffen, dann ist das für mich live-Gold. Das Album ‚Har‘ sollte man zumindest mal sichten, selbst wenn man, wie ich, kein Faible für proggige Strukturen hat. Und dieser Auftritt unterstrich dies. Was mir also bleibt ist die Erinnerung an eine tolle Band, genialer Musik, einem guten, aber nicht perfekten Sound (gingen doch in der Soundwand dann und wann Elemente verloren - auf einem Festival aber zu verzeihen) und ein Set, das mich und augenscheinlich viele Fans glücklich machte.

Und nun zu etwas vollkommen anderen könnte es jetzt bei Dool heißen, aber vielleicht sollte ich mir den Spruch für Deine Lakaien aufheben? Wie dem auch sei: Mit größer werdender Bekanntheit steigt wohl auch die Vorfreude im Publikum vor Beginn und die Niederländer vervollständigten das heute etwas rockigere Set bravourös. Mit ihrem massivem Gitarrenaufgebot, einer energiegeladenen rockig-rotzigen Attitüde und Rampensau Ryanne van Dorst brachte man das Publikum zum Tanzen und Abfeiern - sehr geil, sehr überzeugend. Diese Truppe ist für live gemacht und inzwischen haben sie auch jede Menge Material im Gepäck, das viel zu lange und zu leise daheim von ‚schnöden‘ Tonträgern kommen musste. Und wenn dann noch eine verlangsamte Version des Killing Joke Klassikers „Love like blood" kommt, dann wird auch mein Gruftiherz weich.

Als vorletzter Act des Tages und damit auch des Festes ein Duo, das so alt wie außerhalb des ansonsten vertretenen musikalischen Spektrums ist: seeeeehr! Seit 1985 musizieren Sänger Alexander Veljanov und Multiinstrumentalist Ernst Horn gemeinsam als Deine Lakaien und sind auf Festivals sicherlich keine Unbekannten. Nur weniger auf Metal Festivals weswegen ihre Kunst auf dem Prophecy Fest aber weit entfernt von den Hörgewohnheiten vieler Zuschauer zu verorten ist. Und so vernahm ich während der zwei Tage eher Meinungen, die verhalten bis abwertend waren. "Darauf freu ich mich am wenigsten" und ein freundlich formuliertes Beispiel zu nennen. Ich selbst als großer Fan des Duos war entsprechend gespannt, wie die Lakaien und dieses Publikum inter­agieren würden, ob Veljanovs sonst so spröde Art überzeugend oder abschreckend wirken würde und.... ach, ich aufgeregt. Und ich freute mich. Statt Electronic Avantgarde, wie man sie von den Alben kennt, boten die Lakaien ein rein akustisches Set, nur Horn am Flügel und Veljanov als Veljanov. Es war genau die richtige Entscheidung, denn spätestens in dem Moment, in dem Horn das erste Mal durchblitzen ließ, was er am Flügel zu leisten vermag, veränderte sich die Haltung im Publikum spürbar und es gab anerkennende und ehrfürchtige Blicke. Auch Veljanov war bemüht, sich der Umgebung anzupassen – selten habe ich ihn so, ja fast schon ausgelassen erlebt. Und das Set, das sich durch all die Jahre zog und Raum für drei Coverversionen und einen eigenen Titel vom aktuellen Album 'Dual', war glänzend. Und als Fan darf man sich wohl auf ein 'Dual 3' freuen, da im Entstehungsprozess mehr Liedgut entstanden war, als auf das Doppelablum passte - hervorragend. Der Auftritt lief wesentlich besser, als ich es befürchtet hatte, die Besucher drängten sich vor der Bühne und applaudierten frenetisch und auch eine Zugabe wurde herbeigerufen. Ich bin natürlich in keinem Fall objektiv, mag ich das Projekt einfach zu sehr und zu lange, aber ich bin mir sicher, ich war nicht der Einzige, der mit positiven Gefühlen an diese Vorstellung denken wird.

Schließlich, wie sollte es auch anders sein, Empyrium: Hat sich bereits auf dem Cover des aktuellen Tonträger ‚Über den Sternen‘ der Kreis fast geschlossen, so endete dieser Abend mit der Band, mit der es vor 25 Jahren losgegangen war. Das Duo Schwadorf und Helm, wie gewohnt unterstützt von zahlreichen Gastmusikern, und mit einem hervorragenden Auftritt. Noch einmal legten sich Musiker und Support ins Zeug: Dank eines tollen Sounds, der allen Instrumenten Raum gab, und einem Publikum, dass die melancholisch-romantische Atmosphäre aufsog und bejubelte, führten die sieben MusikerInnen dürch ein schlüssiges Set und damit zu einem würdigen Abschluss des Jubiläumsfestes. Nicht jeder folgte dem Treiben zu nachttrunkener Zeit, sicherlich auch, da bereits beim letzten Fest in der Balver Höhle genau diese Band aufspielte. Ich blieb gerne, denn diese Tage, diese Konzerte, die die Musikbatterien endlich wieder auftankten, sollten schlüssig enden. Und Prophecy Productions ohne Empyrium gehen einfach nicht.

Tja, was bleibt? Ich hatte ein wirklich schönes Wochenende. Es tat so gut, wieder in Balve zu sein, in bekannte Gesichter unter den Zuschauern zu schauen und ein Wiedersehen mit den Künstlern und Mitarbeitern von Prophecy zu erleben. Und dann noch haufenweise Musik, abwechslungsreich und in weiten Teilen wirklich gelungen. Vielen Dank an alle, die mir Auskunft gaben und für den ein oder anderen angenehmen Plausch sorgten, danke allen Gästen, deren Mitwirken ja auch dafür sorgte, dass dieses Fest in dieser Zeit so reibungslos stattfinden konnte und an Martin Koller, dass er vor 25 Jahren die glänzende Idee hatte, ein Label aufzumachen. Auf weitere 25 Jahre - wir sehen uns 2023 wieder in Balve, wenn uns bis dahin nicht die Zombies geholt haben.