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Samstag, 09.09.2023

Bereits 13,00 Uhr ging es los und der Körper wollte nach dem gestrigen Marathon noch nicht so ganz mitmachen. Aber das Fleisch muss sich unterordnen, es geht um gute Musik und den Balsam, den sie für die Seele bedeutet. Also rein in die Höhle.

E-L-R

Dass am heutigen Tag der erste Act auf der Hauptbühne auftrat, wirkte deutlich stimmiger. Und E-L-R waren ein echter Ohrenschmaus zur Mittagszeit. Ihr positiv-wabernder doomiger Sound, das angenehm unaufgeregte und sympathische Auftreten der Musiker und das gute Gefühl, dass sich beim Zuschauen fast automatisch einstellt – ich habe bisher jede Begegnung mit dem Trio genossen, immer wieder gerne. Besonders schön war in meinen Augen die Tatsache, dass die Band mit immer mehr Zuschauern belohnt wurde. Zum Ende ihres Sets waren in meinen Augen mehr Menschen versammelt als später bei größeren Acts wie Novembers Doom.

Gospelheim

Aus England und irgendwie aus den 90ern kamen Gospelheim um Gothic Rock/Metal zu spielen. Wie auch schon auf dem Album fehlt mir in ihrem Sound der rote Faden und sicherlich ist insbesondere beim Gesang noch viel Luft nach oben vorhanden. Ein dicht gedrängtes Publikum erlebte aber einen sehr sympathischen Auftritt einer Band, deren Live-Performance noch angenehm amateurhaft-enthusiastisch wirkte. Kein Scheiß, mir fehlten am Freitag und auch im weiteren Verlauf die weniger perfekten, netten kleinen Bands, denen man anmerkte, dass sie sich einfach nur freuen, da zu sein. Das gab es in den letzten Jahren immer und 2023 waren Gospelheim der kleine, unperfekte Spaß in einer Masse hochprofessioneller Musiker. Allein der Gitarrist, der zu jedem Zeitpunkt selbst von sich und seiner Chance, vor Publikum zu spielen überrascht schien – es war herzig. Musikalisch nicht meins, aber ich sah mir dennoch gerne die erste Hälfte ihres Auftritts an, die etwas unpassend beendet wurde durch…

Slagmaur

Der erste old-schoolig orchestrale Black Metal des diesjähren Festes. Die Band erfreute das Auge mit herrlich schrägen Kostümen: Der Drummer mit Widdermaske, inklusive riesiger Hörner, an den Saiteninstrumenten ein Zombie(?) und ein Schwein und der Gesang wurde dargeboten von einem Seuchenpriester, der aus seiner Bibel las. Freude vom Live-Rollenspiel hatten sicher ihre Freude, aber wie auch schon auf Band empfinde ich die Musik der Band als höchst durchschnittlich und schnell langweilig. Eine schöne Show können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Masse der soliden Black Metal Projekte unendlich ist und Slagmaur können auch im 26sten oder 17ten Jahr ihres Bestehens (je nach Einberechnung der Vorgängerband) keine eigenen Akzente setzen. Alles gut, mehr aber auch nicht.

Und so gönnten wir unseren müden Knochen eine Pause im Schatten der Bäume und lagen und verdösten den zweiten Auftritt von Gospelheim und die gesamte Vorstellung von Saturnus. Von draußen hörte ich ausreichend Jubel, aber das Fleisch war kurz zu schwach, um selbst nachzusehen.

Illudium

Der Doom beherrschte das diesjährige Fest und es ist etwas schade, dass Illudium „nur“ eine weitere Show in ähnlichem Soundgewand war, denn ihre drückenden Riffs und der wirklich starke Gesang hätten mehr Beachtung erhalten, wenn man nicht bereits seit 1 ½ Tagen Riffsalven hören würde. Ich habe nichts auszusetzen, mir gefielen beide Auftritte mehr als auf Album, da sich die Energie der Musiker auf mich übertrug. Es fanden sich aber immerhin ausreichend Enthusiasten, um der Band ein gutes Gefühl zu vermitteln.

Gràb

Es gab sicherlich in diesem Jahr besondere Momente, und der folgende Auftritt muss als ein weiterer gezählt werden. Das inzwischen wieder auf ein Duo angewachsene Bavarian Black Metal Projekt Gràb traten zum ersten Mal live auf (und momentan ist geplant, dass dies auch der einzige Auftritt bleiben soll). Zusammen mit drei hochklassigen Gastmusikern schrammelten sie sich professionell durch ihr Set, das die besten Momente des bisher einzigen Albums ‚Zeitlang‘ zusammenfasst. Mir hat dieser Auftritt während der Songs besser gefallen als das Album selbst. Alles wirkte viel emotionaler und schwerer durch das optisch und in der Gestik sehr gut transportierte Stimmung eines Alpbewohners, der vom Leben gezeichnet den Widrigkeiten und der Mystik der alpinen Welt begegnet. Grànt war der deutliche Mittelpunkt der Performance, sein rauhes Raunen und der klagende Klargesang wirkten in der Höhle noch trostloser und erschöpft. Einzig die geraunten Zwischenansagen waren mir etwas zu viel – das wirkte aufgesetzt, klar gesprochen oder geflüstert wäre mir dies authentischer erschienen. Das Publikum zollte seinen Respekt in Form von dichtem Gedränge und deutlicher Begeisterung direkt vor der Bühne. Weiter hinten lichteten sich mit der Zeit die Reihen, vielleicht wurde nicht jeder von alpiner Trostlosigkeit abgeholt. Alles in allem kann man attestieren: sollte dies wirklich der einzige Auftritt des Projektes bleiben, kann man 100% ihrer Live-Geschichte als gelungen bezeichnen.

Novembers Doom

Ich bin mir nicht ganz sicher, was es war, das für die lichtesten Reihen vor der Bühne während der zwei Tage sorgte: Seit über 30 Jahren doomen die Herren aus den USA mehr oder minder erfolgreich, aber 2023 in Balve erreichten sie mit ihrem Sound eine zwar respektable, im Vergleich aber eher kleinere Meute. War es die Zeit und die Besucher sammelten Kraft für den ereignisreichen Abschluss? Das halte ich durchaus für wahrscheinlich, vielleicht ging es aber manchem wir mir: Ich brauchte nicht noch eine weitere Death/Doom Vorstellung und Novembers Doom lieferten sehr gut, aber wenig markant und interagierten sehr sympathisch und unaufgesetzt mit dem Publikum. Fans der Band zollten den Herren aber ihren Dank mit lautstarkem Jubel.

Dymna Lotva

Auf der Nebenbühne bereiteten sich inzwischen die aus Weißrussland quasi geflohenen und in Polen gelandeten Musiker auf ihr Prophecy Fest Debut vor. Ich hatte in meiner Rezension geschrieben, dass ich wenig mit der Musik anfangen kann, mir mehr Folklore gewünscht hätte, einen Sound wie Negura Bunget oder Dordeduh oder mehr Gefühl in den Melodien. Trotzdem muss ich gestehen, dass die Band ganz genau weiß, was sie tut und dieser Auftritt hat gewiss einige neue Fans geschaffen. Vor der Band hing ein blutiger Vogelflügel, alle Herren waren in Rot gekleidet, wahrscheinlich, um die Zerstörung der Unschuld darzustellen. Diese wurde durch Sängerin Nokt in weißer Unschuld dargestellt, jedoch war ihr Gesang so gar nicht unschuldig. Sie verband klagenden osteuropäischen Frauengesang, cleane Vocals und abgrundtief intensive Growls mühelos und erfüllte die gesamte Höhle mit einer gewaltigen und doch sehr mühelos erscheinenden Performance. Gerade bei einer solch intensiven Performance ist die Unterbrechung mitten im Set aufgrund der Hauptbühne ein Frevel, aber sei es drum.

Dornenreich

Die Vorfreude auf ein metallisches Dornenreichset konnte man schon seit Donnerstag bei vielen vernehmen und es wurde merklich voll vor der Hauptbühne. Dornenreich gehören ähnlich wie Empyrium zum Label, Eviga mischte sich auch in diesem Jahr ganz entspannt unter die Besucher, teilte die Begeisterung für die Bands und zeigte sich vorfreudig auf Agalloch und nun flüsterte und fauchte er in die Reihen hinein, als wäre kein Tag vergangen seit Trauerbrandung. Die metallischen Neuinterpretationen der Folkstücke, die bereits auf der Jubiläumstour umgesetzt wurden, passten genauso hervorragend in den Dornenenreichsound wie die Klassiker und passend zu ihrem Sound gab es zwischen Kopfnicken, Bangen und ausgelassenem Tanz alles. Eviga zeigte erneut eine bis in die Gegenwart andauernde, authentische Bodenständigkeit und eine ehrliche Dankbarkeit gegenüber dem Publikum. Jede Begegnung mit ihm und seiner Band beglückt mich mehr und so werde ich wohl auf in den kommenden Jahren gerne Konzerte besuchen.

Vemod

Wenn es um Veröffentlichungspolitik geht, sind Vemod sicherlich der Typ „Weniger is mehr“. Ein Album nach 12 Jahren und seitdem immerhin 11 weitere Jahre ohne Veröffentlichung – gut (oder irgendein) Ding will da wohl Weile. Spannend ist auch, wie sehr sich die Band in den letzten Jahren verändert hat. Bei meiner ersten Begegnung mit den Norwegern in der Höhle waren sie ähnlich dem Album kalt und in die Unendlichkeit treibend, es gab viel Raum für Ambient und das Auftreten war einhaltlich und ähnlich dem von Darkspace: Unbeweglich. Doch die Band hat sich augenscheinlich weiterentwickelt … nur hat das niemand dem Bandkopf E.Blix gesagt. Und so spielten Gitarrist und Bassist entspannt tanzend und voller Leidenschaft, während die Mitte wie fehl am Platz unbewegt blieb. Auch musikalisch war das Set über weite Strecken sehr melodisch, fast schon spätsommerlich-entspannter Black Metal und ich wäre, wenn man mir weite Teile vorgespielt hätte, kaum auf Vemod gekommen. Aber dann wurde als Abschluss der übergroße Titelsong „Venter på stormene“ angestimmt und mir ging das Herz auf. Ja, auch der etwas schiefe, zweistimmige Backroundgesang, der anders auf dem Album auch viel zu viel Dramatik erfuhr, konnte meiner Freude keinen Abbruch tun und ich war voll in der Unendlichkeit, als die letzten Minuten anbrachen und dem Raum und der Höhle ein minutenlanges, atmosphärisches Ausklingen geschenkt wurden…. Bumm Bumm BUMM, Soundcheck auf der Nebenbühne. Kotz.

Tar Pond

Der letzte Act der Nebenbühne ist für mich auf Album kaum zu erreichen und als ich vor der Entscheidung stand, Tar Pond zu sehen, oder meine wirklich Formidable Position für die letzten beiden Hauptacts zu behalten, gestehe ich, mich gegen meine Aufgabe der Berichterstattung entschieden zu haben. Ich sehe mich aber auch nicht im Stande, Musik oder ihre Qualität zu beschreiben, wenn mir das Gehörte quasi den Zugang verweigert.

Arthur Brown

Der „God of Hellfire“, der in den letzten beiden Jahren das Fest bereichert hatte und auch in diesem Jahr für Abwechslung, Energie und Herz sorgen sollte, war leider verhindert und grüßte per Videobotschaft mit brennendem Helm und voller Liebe. Im nächsten Jahr wird er (hoffentlich) wieder zurückkehren, der kleine aber feine Gruß war eine herzige Angelegenheit und ich sah einige Schmunzeln in den Reihen.

Darkher

Wunderbar. Was soll ich da noch groß sagen – vielleicht, dass ich begeistert bin, wie sehr diese sehr minimale, nur leicht doomig angehauchte, zerbrechliche Musik und diese Frau, die aus einer anderen Dimension für uns zu singen scheint, die harte Meute vor der Bühne begeistern und halten kann. Wer die Chance hat, sollte Darkher live erleben. Wunderbar eben. Nur das deutlich gequetschte Jpeg, dass einen platten Mond auf kleiner Leinwand zeigte, wirkte etwas mager.

Agalloch

Es war spät, 23.40, der Tag war lang, die Reihen lichteten sich und es lohnte kaum, noch einer Band die Bühne zu überlassen. Oder? ODER? Noch einmal drückte sich ein großer Teil der 1400 Gäste vor die Hauptbühne, noch einmal standen die Menschen bis in die hinteren Winkel der Höhle und dieses Mal konnte man die Anspannung fast greifen. Nach 7 Jahren sollten sie zurückkehren, vielleicht nur hierfür, wahrscheinlicher aber als Auftakt für eine anhaltende Reunion und jede Person, die jetzt noch hier weilte, tat dies voller Glück, dabei sein zu dürfen.

„I hope, you got your comfortable shoes on, because we are gonna play for a long time“ sagte  John Haughm und hatte damit nicht Unrecht, denn bis fast 1.30 spielte die Band ein Set mit vielen Schmankerl aus den Jahren 1999 bis 2014. Agalloch sind zurück, wissen genau, dass sie heiß erwartet wurden und belohnten die Anwesenden mit Spielfreude und einem Sound, der oft kopiert, selten aber erreicht wurde. Ich persönlich hätte mich wohl nur noch mehr gefreut, wenn man stumpf ‚The Mantle‘ komplett gespielt hätte, denn es ist seit Erscheinen 2002 mein liebstes Gesamtalbum. Aber auch so werde ich diese Zeit mit den Neuengländern lange in den Ohren und im Herzen widerhallen lassen. Neben Calva Y Nada in diesem Jahr eine weitere Band, die ich von der Bucket Liste streichen kann, obwohl ich sicher war, dass ich sie nie sehen werde.


Abschluss

Als kleines Geschenk für treue Fans konnte man bereits auf dem Fest Karten für das kommende Jahr ordern. Ein sehr schöner Gedanke, waren doch die Karten online in diesem Jahr nach wenigen Tagen weg und so erhielten langjährige Besucher die Sicherheit, wieder dabei sein zu können. Dass das Verfahren eher an die Bürokratie in Asterix und Obelix erinnert und ich mit dem Foto von dem Antrag, den ich vor Ort ausfüllen, ausrechnen und bezahlen sollte nun im Netz das Online Ticket kaufen kann um dann mit dem Foto zu beweisen, dass ich es tatsächlich bin… geschenkt. Ich verbuche es, genau wie die Seitenbühne als schöne Idee, die eher fragwürdig umgesetzt wurde. Mein Fazit für das Fest auch nicht musikalischer Ebene bleibt in diesem Jahr gespalten: Toll sind Atmosphäre, das obligatorische CD Band mit allen Bands, der Zauber des ersten Abends, die wirklich herzige Bewirtung durch die örtlichen Anbieter, Ernie, wenn er grinsend durch die Reihen pfeift, das tolle Publikum und die freundlichen Helping Hands und Mitarbeitenden von Prophecy. Organisatorisch war das Ergebnis leider oft eher mau. Ob es jetzt daran lag, dass gut gemeinte Ideen in der Umsetzung krankten oder (was ich für wahrscheinlicher halte) ob die Erhöhung der Zuschauerzahlen auf 1400 mehr Veränderung mit sich gebracht hat als gedacht/geplant und man eben nicht mehr ein DIY Festival machen kann, in dem schon alles irgendwie klappt, weil man sich gegenseitig hilft… ich weiß es nicht. Wofür die Veranstalter wirklich nichts können, ist, dass es anscheinend einen Beutezug durch einzelne Zelte gegeben hatte und dass am zweiten Abend ein betrunkener Gast Gewalt ausübte und zwei Securities verletzte. Alleine, dass man von diesen Einzelfällen berichtet zeigt, wie friedlich eine solche nicht unerheblich große Veranstaltung ablaufen kann und was das Prophecy Fest für viele wertvoll macht.

Musikalisch empfand ich das Festival in diesem Jahr so hochklassig wie noch nie. Bis auf Gospelheim war alles hochprofessionell, der Sound war meist spitze und man konnte einige besondere Auftritte erleben. Jedoch, und da ging es nicht nur mir so, wie ich in Gesprächen mit anderen Gästen erfuhr: In diesem Jahr gab es so wenig musikalische Abwechslung wie noch nie. Folk am ersten Abend, streng getrennt und danach fast durchgehend doomige, in die Weite tragende Sounds. Ja, 1476, Disillusion, Vision Bleak und Dornenreich sind anders und eigentlich hätte Arthur Brown noch mitgemischt, aber trotzdem: Year oft he Cobra, Laster, Dark Space, Crone, My dying bride, Amenra, E-L-R, Slagmaur, Illudium, Grab, Novembers Doom, Dymna Lotva, Vemod und Darkher teilten gewisse Attribute, zeigten Parallelen und auch der Rest war nun nicht Lichtjahre entfernt. Es fehlten Ausreißer, Deine Lakaien, Bohren und der Club of Gore, Carmerata Mediolanense, die Spiritual Front, Hypnopazuzu, Mortiis, irgendwas, was in den vergangenen Jahren andere Synapsen bediente. Ich fuhr als Teilnehmender hochzufrieden weg in dem Wissen 2024 wieder an Bord zu sein und ich freue mich darauf. Aber als Schreiberling kann ich nicht alles schönreden und ich hoffe, dass das tolle Team von Prophecy die Kritikpunkte, derer sie sich sicherlich auch bewusst sind, zu Herzen nehmen.