Landläufig besteht immer noch hartnäckig die Meinung, der elektronischen Musik fehle es an Wärme und Gefühlen. Ein Irrglaube, wie man bei Xotox' aktuellem Werk "Ich bin da/Ich funktioniere" festmachen kann. Da sind zwar die schneidenden Sequenzen und brachialen Beats; da dröhnen wie in "Die Strömung der Welt" und "Kapitualtion" die Sounds und bergen Ausweglosigkeit und innere Unruhe in sich. Der Titel jedoch gibt es vor: Das Album taucht in die Tiefen der Seele eines Menschen ein, der von heftigen Depressionen heimgesucht wird. Wie intensiv Mastermind Andreas Davids diese wirklich erlebt hat, kann nur gemutmaßt werden. Sicherlich spielen die letzten Jahre, in der vor allem die Coronapandemie das gesamte Leben durcheinander gebracht hat, eine nicht unbedeutende Rolle.

Davids allerdings, der heuer mit seinem Projekt den 25. Geburtstag gefeiert hat, dürfte in dieses Album auch seine gesamte Lebenserfahrung gesteckt haben. Zu einer Zeit, als in der elektronischen Sektion der Gothic-Szene Future Pop das große Ding wurde, hat sich der Mann aus Paderborn für einen gänzlich anderen Weg entschieden: harte Rhythmen, spärliche Melodien und der Fokus auf technoid-druckvolle Klänge standen damals ziemlich solitär in der Musiklandschaft. Bis heute hat sich Xotox als Anlaufstelle für gehaltvollen TBM und Industrial Techno bewährt. "Ich bin da/Ich funktioniere" setzt aber nun die expressionistische Musik den impressionistischen Gedanken gegenüber, was die Spannung dieser Langrille ausmacht.

"Kennen Sie dieses Gefühl der völligen inneren Leere? Wie es ist, von niemandem wahrgenommen zu werden? Einfach zu existieren aber nicht zu sein?", wird in "Existenz" unter scheppernder Rhythmik, welche die an Mobys "Why Does My Heart Feel So Bad?" erinnernde Melodie fast begräbt, gefragt. "Ich kenne es", lautet die bittere Replik. Der Hörer hat das Gefühl, einem Gespräch eines Psychologen mit seinem Patienten beizuwohnen, während die Musik wie ein innerer Furor anmutet, den der Protagonist aber gar nicht mehr wahrnimmt.

Das Gefühl des überdimensionalen Hamsterrads, in dem man sich befindet, wird in einfachen, aber wirkungsvollen Sätzen konzentriert. "Aufstehen, funktionieren. Hinlegen, regenerieren" schleudert Davids im Kasernenton die wiederkehrenden Parolen in "Ich funktioniere". Alles an diesem Track schreit nach Ausbruch aus diesem Gefängnis. Doch was sich wie ein Versuch, die Ketten zu sprengen, anhört, ist lediglich die innere Verzweiflung über die wahrgenommene Monotonie. Was die Mitmenschen von außen sehen, repräsentiert das Albumcover: einen Menschen, der seinen ganze Energie für die inneren Kämpfe aufbraucht und einfach nur erschöpft wirkt.

Xotox gelingt mit diesem Album etwas ganz besonderes: Das Projekt löst seinen brachialen Elektro-Sound von gängigen Themen, die sich entweder in erotischen, militaristischen oder selbstreferentiellen Gefilden bewegen, und verfrachtet ihn in individuelle seelische Betrachtungen. Traditionell würde man bei psychologischen Sujets in eher gedämpften und mollschwangeren Tönen sehr wortlastig das Problem besingen. Dass "Ich bin da/Ich funktioniere" mit viel Schlagwerk und wenig Text (zumeist nur aus Sprachsamples bestehend) genau das Gegenteil dessen ist, gibt dem Werk eine ganz eigene Dynamik und steht damit sogar näher am Problem als manches Lamento. Bei aller musikalischen Härte ist die in Musik gefasste Hoffnungslosigkeit des Protagonisten im wahrsten Sinn des Wortes begreifbar.