Welch dramatischer Beginn: Wir befinden uns im "Room 412", man hört ein Herz schlagen und das durchdringende Piepsen der am Organ angeschlossenen Maschine. Bis auf einmal der Puls verschwindet und ein gleichbleibender Sinuston erklingt, der nach und nach von einer Arpeggio-Linie und Yotas Stimme überlagert wird. Eine wunderbare Vorstellung wäre das, wenn so der Übergang vom Leben zum Tod abliefe. Am Ende befinden wir uns im großartigen Synthie-Pop-Himmel und lauschen den aufgeräumten und glasklaren Songs von "Room 412".

Gut allerdings, dass wir uns nicht erst ins Jenseits befördern müssen, sondern ganz den irdischen Genüssen hingeben können, die uns "Room 412" bietet - trotz des letalen Anfangs. Danach aber verlässt die Schwedin sämtliche traurigen Anklänge und widmet sich bereits ab "Don't Tell Me" einem extrem coolen und sonnendurchfluteten Synth-Wave, der sich vor allem durch ein nicht fiebriges Sounddesign auszeichnet, wie es bei vielen anderen Projekten der Fall ist, sondern eher die Kunst der Weglassung zelebriert.

So darf Yota, die eigentlich Panajotta Eva Hautanen heißt, sich auch ganz ungezwungen an einen großartigen Klassiker des New Romantic wagen: "Hey Little Girl" von Icehouse. Eigentlich zählt dieser anrührende wiewohl dunkelfunkelnde Song zu den wenigen Stücken, deren Neuinterpretation meistens zum Scheitern verurteilt ist. Aber Yota gelingt es, dem Evergreen eine neue Richtung zu verleihen - ohne dass eine große Ummodellierung des Originals nötig ist. Sogar das flirrende, eingeblendete Intro behält die Wahlpariserin bei. Lediglich die Beats drängen sich in den Vordergrund und versprühen eine unterkühlte Disco-Atmosphäre, die irgendwo zwischen "Magic Fly" von Space und Kylie Minogues "Can't Get You Out Of My Head" liegt.

Ein bisschen scheint es so, dass bei Yota, die sich in den Sozialen Medien als urbane Frau gibt, die Schwingungen der Stadt Einfluss auf ihre Kunst hat. Stücke wie "Holding On" oder "More" sind einerseits stark mit der skandinavischen Tradition einnehmenden Electro-Pops verbunden, besitzen aber andererseits auch eine mondäne Eleganz und wirken wie ein Tag auf einer Edelyacht. Der gestresste Großstädter gönnt sich vom hektischen Alltag eine kleine Auszeit an der Côte d'Azur und genießt perlenden Schaumwein, während Yota mit fluffigen Sounds die perfekte Untermalung für das leichte Leben unter einem strahlend blauen Sommerhimmel serviert.

Damit reiht die Musikerin einen weiteren Meilenstein in ihrer noch jungen Karriere ein. Schon ihr Debüt "The Knight In Shiny Armour" ließ viele aufhorchen - vor allem das Label New Retro Wave aus New York, die den Synth Wave seit mehr als zehn Jahren zum Salonlöwen in der elektronischen Klangerzeugung aufgebaut hat. Bereits der Nachfolger "Strangers On Film" wurde über die amerikanischen Plattenfirma vertrieben. New Retro Wave gibt ihr alle künstlerischen Freiheiten, die sie braucht, um zu strahlen. Und das tut sie mit jedem weiteren Album, das in einem arbeitsintensiven Ein- bis Zweijahresrhythmus veröffentlicht wird.

Zum Schluss, wenn wir durch die hochwertige Produktion, die das "Pop" in Synthie-Pop mit neonrosanen Marker drei Mal fett unterstrichten hat,  gegitten sind, finden wir uns wieder im berüchtigten Zimmer mit der Nummer 412, wo Yota noch einmal zu jemandem spricht, womöglich der Verblichene aus der Eingangssequenz. Doch nachdem die Musikerin mit geradezu somnambulistischen Ausdruck "This Is Room 412" sagt, kurz vor Ende der Platte,  beginnen, kaum hörbar, erneut die Herzgeräusche. Ein einfacher, aber wirkungsvoller Effekt, um das Album in seiner Entität zu erfassen und zu überprüfen. War es nur ein Traum? Hat die Liebe des lyrischen Ichs zum vermeintlich Sterbenden seine Seele zurückgeholt? Befand er sich zwischen dem Sinuston am Anfang und der wieder einsetzenden Herzschläge am Ende in einer Zwischenwelt, die von Yotas Musik überflutet wurde?

"Room 412" gibt keine Antworten darauf, braucht es aber auch nicht. Denn wie immer der philosophischer Überbau geartet ist, sind es letzten Endes doch die Songs selbst, die das Werk tragen müssen. Was ihnen unbestritten und scheinbar mühelos gelingt.