Angewidert von der eingeforderten Gratiskultur im Internet und der allgemeinen Abwertung musikalischer Produkte durch deren grenzenlose Verfügbarkeit, verkündete Rudy Ratzinger anno 2017, dass er Wumpscut an den Nagel hänge. Das Rauschen im (digitalen) Blätterwald war deutlich zu hören. Schließlich gehörte das Projekt zu der Speerspitze dystopischer Electromucke. Vier Jahre später dann die große Überraschung: Ohne Vorankündigung, quasi wie aus dem Nichts, taucht das Projekt mit dem neuen Album "Fledermavs 303" wieder auf und veröffentlicht seitdem im Jahresrhythmus Tonträger. Hat jemand irgendetwas von Rücktritt gesagt?

Über die plötzliche Reinkarnation mag man spekulieren (vielleicht ist das auch in Rudys Sinne). Es könnte durchaus sein, dass das Ende nur eine fingierte Aktion war, um sich eine unbegrenzte Pause einzuräumen. Denn seit den frühen 1990ern hat Wumpscut den Endzeit-Elektro maßgeblich geprägt wie kein anderes Projekt. Doch nach Meisterwerken wie "Embryodead" (1997) und "Wreath Of Barbs" (2001) begann Rudys Stern zu sinken. Ob es an der selbst aufelegten Zielsetzung lag, jedes Jahr ein neues Album zu produzieren oder an einem schlussendlich ausgelaugten Meister seines Fachs: Wumpscut wurde in den 2010ern kaum noch wahrgenommen, seine Alben waren nur unter "ferner liefen" und konnten höchstens noch loyale Fans überzeugen.

Vielleicht hat Rudy selbst gemerkt, dass er sich in eine künstlerische Sackgasse manövriert hat und nach vier Jahren Stillschweigen mit frischen Ideen einen Neustart wagte. Mittlerweile scheint sich der Mann aus dem niederbayerischen Gangkofen nicht mehr sklavisch an frühere Veröffentlichungsstandards zu halten. Zumindest wurde nach dem Comebackalbum ein Jahr später mit "For Those About To Starve" "nur" eine EP veröffentlicht. Nun beinhaltet "Giftkeks" gerade mal auch lediglich vier neue Songs, die es mal mit und mal ohne Gesang zu hören gibt. Hier ist aber das klare Urteil: Qualität schlägt Quantität.

Von den Instrumental-Versionen mag man halten, was man will. Nötig waren sie nicht, stören tun sie aber auch nicht. Das liegt vor allem daran, dass die neuen Stücke deutlich weniger endzeitlich klingen. Man mag es Altersmilde nennen, es könnte aber auch einfach die Einsicht des Musikers sein, dass seine Attitüde drohte, zur Farce zu verkommen. "Silent Running" eröffnet die EP daher mit einer extrem trancigen Melodielinie, die einen schönen Gegenpart zu Rudys nachwievor aggressiv-semiflüsternden Duktus bildet. Auch "Draw Your Terminal Breath" zitiert klassische Acid-Techno-Sounds, über die er schaurig-kristalline Sequenzen legt. 

Der typische ratzinger'sche Humor scheint auch bei dieser Veröffentlichung durch. "Du hast kein Herz" besinnt sich auf die Kunst des geschickten Samplings. Schon früher besaß der Filmeliebhaber das Gespür für markante Sprachsamples, die er in seine unheilsschwangeren Sounds einwebt und ihnen dadurch völlig neue Gewichtung verliehen hat.

Natürlich steht die aktuellste Veröffentlichung immer noch im Schatten der großartigen Werke, die Wumpscut vor allem in den 90ern auf den Markt gebracht hat. Man kann aber auch konstatieren, dass an der neuen EP die wiedergewonnene Lust Rudys am Musizieren deutlich auszumachen ist. Dementsprechend wirkt der "Giftkeks" wie ein kleiner Happen zwischendurch, den man schnell verputzt. Durchaus lecker, aber nicht wirklich sättigend. Wir warten auf den Hauptgang.