Wumpscut - Bunkertor 7

Wumpscut - Bunkertor 7

Wenn man über deutsche Industrial-Geschichte spricht, kommt man an einem Namen schlicht nicht vorbei: 'Rudy Ratzinger', besser bekannt unter seinem Projekt ':Wumpscut:'. Mitte der 90er schuf er aus dem bayerischen Hinterland heraus eine Legende, die mit kompromisslosem Sound, verstörenden Samples und einer markanten Ästhetik die Szene nachhaltig prägte. Mit dem Album 'Bunkertor 7', das am 1. September 1995 - also vor genau 30 Jahren - über 'Beton Kopf Media' erschien, legte Rudy ein Werk vor, das bis heute als einer der Meilensteine des Dark Electro gilt. Während viele Acts der damaligen Zeit noch zwischen EBM und Wave schwankten, stellte ':Wumpscut:' den Hörer in den kalten Raum eines Betonbunkers und ließ die Tür hinter ihm ins Schloss fallen.

Musikalisch ist 'Bunkertor 7' ein Manifest der Finsternis: Die Beats sind kalt, kantig und maschinell, ohne jemals den rohen, menschlichen Zorn zu verlieren. Schicht um Schicht aus harten Percussions, aggressiven Sequenzen und den unverkennbar verzerrten Vocals erschaffen ein beklemmendes Klanguniversum. Dazu kommen Sprachsamples, die irgendwo zwischen Kriegsdokument, Wahnsinnsmonolog und Horrorfilm schweben. Das Ganze klingt, als würde ein paranoider Techniker in einem unterirdischen Stützpunkt die Welt mit seinen Maschinen unterwerfen wollen – was erstaunlich gut als Bild für die Stimmung der damaligen Zeit funktioniert. Statt Eingängigkeit oder gar Kommerz servierte ':Wumpscut:' rohe Energie und ein Unbehagen, das sich nicht abnutzt. Gerade die Mischung aus kalter Elektronik und dystopischer Atmosphäre macht das Album so einzigartig.

Doch hinter den Maschinen luken immer wieder kleine Momente, die fast schon zart wirken – allen voran 'Thorns'. Laut Ratzinger entstand der Track nur „mal eben aus einer Laune heraus“ – und trotzdem zeigt genau das, wie sehr er damals auf dem Höhepunkt seines Schaffens stand. Eigentlich ist es ein recht schlicht gestricktes Instrumental: dezente Synths, eine akustische Gitarre, ein fast unscheinbares Arrangement. Und doch hat es etwas, das mich immer wieder zurückzieht. Ein kleines Juwel zwischen den infernalen Maschinenklängen, das beweist, dass Rudy nicht nur im Lärm, sondern auch in der Reduktion eine starke Handschrift hatte. Dass so ein „Nebenbei-Stück“ bis heute für viele Fans ein Highlight darstellt, sagt alles über die kreative Phase aus, in der ':Wumpscut:' sich damals befand.

Ein weiterer spannender Aspekt ist die cineastische Inspiration des Albums. 'Bunkertor 7' bedient sich meinen Recherchen nach an filmischen Quellen wie dem französischen Kurzfilm Le bunker de la dernière rafale von Caro & Jeunet (1981). Alarmtöne, Sprachfetzen und das Gefühl permanenter Bedrohung wirken wie akustische Collagen aus einem Endzeit-Szenario. Auch Hollywood findet seinen Weg hinein: Im Stück 'Bunkertor 7 (Reprised)' taucht ein Sample aus Kindergarten Cop auf, während 'Thorns' ein verfremdetes Zitat aus Highlander verarbeitet. Mir gefällt gerade diese Verbindung von düsterem Industrial und popkulturellen Zitaten – es zeigt, dass Ratzinger seine Welt nicht im luftleeren Raum erschuf, sondern sich kreativ bei Filmen, Fragmenten und Stimmen bediente.

Für Sammler hatte 'Bunkertor 7' von Anfang an besonderen Reiz. Die Erstauflage erschien in einem regulären Jewel Case, doch mit einem ungewöhnlichen Twist: Statt des üblichen Barcodes fand sich auf dem Artwork – nichts. Nur ein aufgeklebter Sticker von 'Discordia Distribution' mit Barcode und Nummerierung sorgte für den Vertrieb. Im Inneren lag ein achtseitiges, aufklappbares Papp-Booklet, das die karge, martialische Ästhetik des Albums unterstrich. Solche Details sind es, die heute den Sammlerwert bestimmen – ein Exemplar der Erstauflage ist längst mehr als nur ein Tonträger, es ist ein Relikt einer Szene, in der Authentizität und Underground-Gestus wichtiger waren als Marketing und Hochglanz. Später gab es auch limitierte Boxsets mit Poster, Shirts und anderen Extras – bis heute heiß begehrt auf Discogs.

Und dann sind da die zahllosen Editionen und Re-Releases. Kaum ein anderes Industrial-Album hat über die Jahrzehnte hinweg so viele Neuauflagen erlebt: Von der US-Version unter dem Titel 'Bunker Gate Seven' über die '11 Years Anniversary Edition', die 'Re-Sample Edition' von 2009 (mit Beiträgen u.a. von Haujobb und Stillste Stund) bis hin zur 'Concentrated Camp Edition' 2017. Jede dieser Fassungen brachte kleine Änderungen – neues Artwork, andere Tracklisten, Bonusmaterial. Meiner Meinung nach ist genau das ein starkes Zeichen für den Kultstatus dieses Albums: Wenn ein Werk immer wieder ausgegraben, überarbeitet und neu präsentiert wird, dann, weil es seine Faszination nie verloren hat. 'Bunkertor 7' ist nicht nur ein Album, es ist längst ein Mythos mit vielen Gesichtern.

Drei Jahrzehnte später wirkt 'Bunkertor 7' noch immer erschreckend unverbraucht. Vielleicht, weil es nie den Versuch unternahm, modern zu klingen – sondern von Anfang an konsequent seinen eigenen Weg ging. Während viele Szenegrößen mit den Jahren auf polierten Futurepop schielten oder die Beats auf Clubverträglichkeit trimmen wollten, blieb dieses Album ein kompromissloses Dokument des Industrial-Wahnsinns. Für mich persönlich ist es genau das, was ein Genre-Klassiker ausmacht: Man hört sofort, aus welcher Zeit es stammt, und doch ist es irgendwie völlig zeitlos in seiner Wucht.

Mein Fazit also: 'Bunkertor 7' ist kein Album, das man einfach hört und wieder weglegt – es ist ein Stück Beton, das man sich ins Regal stellt und das mit seiner Schwere und Kompromisslosigkeit die Jahre überdauert. Manche Werke altern, andere rosten – dieses hier ist eher ein Bunker, der im Laufe der Zeit nur noch massiver wirkt. Für Nostalgiker ist es ein Rücksturz in die düsteren Keller der 90er, für Neuentdecker ein harscher Weckruf, dass Industrial einmal so roh, sperrig und eigensinnig klingen konnte. Und mittendrin lauert mit 'Thorns' ein stiller Moment, der fast schon wie ein Riss im Beton wirkt – klein, unscheinbar, aber gerade dadurch unvergesslich.

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