Schwiegermutters Liebling wird der Finne Lasse Alander bestimmt nicht mehr. Bereits zusammen mit Kalle Lindberg als Cardinal Noire firmierend, durfte es gerne deftig-kräftig zugehen. Ihr Industrial-Electro orienteirte sich dabei immer ein bisschen an den Altheroen dieser Spielart. Oder wie es ein Kommentar auf ihrer Bandcamp-Seite treffend beschrieb: "If you love Skinny Puppy's darkest sound, this is for you!".

Seit einiger Zeit wandelt Lasse nun auf Solopfaden. Und man weiß nicht, ob ihm das gut bekommt. Einerseits ja, denn als W424 (vielleicht eine Anspielung auf Front 242?) taucht er noch mehr in die absolute klangliche Apokalypse ein, was dem Werk "Carnal" eine unglaubliche Intensität verleiht. Andererseits muss man sich schon ein bisschen Sorgen machen, wie intensiv endzeitlich das Album von Anfang bis Ende anmutet. Vielleicht sind auch die berühmten, nicht endenden wollenden dunklen Winter Finnlands der Grund für dieses musikalische Schreckenszenario.

Dieses macht bereits mit dem Opener "Lost" keine Gefangenen und setzt die unheilvolle Lärmcollage aus verzerrten Vocals, übersteuerten Beats und kreischendem Industriegetöse sofort um. Lasse schreit ins Mikro wie ein angeschossenes Tier, seine Worte gehen im Distortiongewitter unter. Vielleicht muss man auch nicht mehr zwangsläufig verstehen, was der Mann uns zu sagen hat. Es reicht das beklemmende Gefühl, dass der Musiker seine dunkelsten Gedanken an die Oberfläche lässt.

In schleppenden Rhythmen wandeln die Songs wie die letzten Überlebenden einer nuklearen Katastrophe und blicken auf Ruinen und zerstörte Existenzen. Alles, was einst Halt gegeben hat, ist auf einmal ausgelöscht. Es war sicherlich nicht Lasses Absicht, aber "Carnal" klingt wie das Leben nach einem Atomkrieg, der seit letztem Jahr leider der Realität wieder viel näher ranrückte, als es uns lieb ist. Vielleicht funktioniert das Album deswegen auch so gut: Es erscheint in einer Zeit großer Zukunftsängste.

Diese kann W424 weder lösen, noch will er mit dem Album Hoffnung in welcher Art auch immer machen. Vielmehr will "Carnal" die Menschen daruf vorbereiten, wenn es soweit ist. Der Tag des jüngsten Gerichts findet schon hier statt.

Alles auf "Carnal" bewegt sich scheinbar dem Ende zu, alles wirkt so ausweglos, dass man Lasse Elander allein dafür ein großes Kompliment aussprechen muss. Denn ihm gelingt es, Industrial aus einer Emotion heraus zu kreieren. Man höre sich einfach nur mal "Hellmouth" an: Der Song wirkt meinen seinen 56 BpM gerade so, als würde er jeden Moment zum Erliegen kommen. Tatsächlich können sich bei diesem dahinschleppenden Rhythmus die Gitarrenriffs, Drones und schneidende Synthesizer richtig schön entfalten. Besonders gegen Ende wird der Maschinenlärm ins Unerträgliche gesteigert. Auf einer guten Anlage mit ordentlicher Lautstärke wird man auf diese Weise schnell zum Liebling der Nachbarn.

Diese flapsigen Bemerkungen sollen jedoch nicht "Carnal" als Werk abschätzig beurteilen. Au contraire: W424 ist schonungslos - zu den Hörern und zu sich selbst. Aber genau das ist es, was Kunst auch ausmacht, um gut und authentisch zu sein. Man sollte jedoch in einigermaßen mental stabiler Verfassungs sein, wenn man sich "Carnal" anhört.