Hildesheim, Sommer 2003: Die Sonne brannte unerbittlich vom Himmel, als wolle sie uns alle zu gut durchgebräunten Festivalgängern machen. Die Festivalwiese war trocken, hart und staubig – der perfekte Untergrund für unsere schwarzen Stiefel, die sich in der Hitze beinahe selbstständig machten. Nebelmaschinen in der Ferne versuchten verzweifelt, mit ihrem künstlichen Dampf für Nebel (oder Abkühlung?) zu sorgen, während sie gleichzeitig ihren Wettkampf um den Titel „größter CO₂-Ausstoß des Abends“ austrugen. Kurz: Es war heiß. Doch das hinderte uns natürlich nicht daran, unseren Plan zu verfolgen: Stephan Groth von Apoptygma Berzerk für ein Interview abzufangen. Zwischen einem bombastischen Auftritt auf der Bühne und der Jagd nach der letzten Flasche Mineralwasser nahm sich der sympathische Norweger ein wenig Zeit, mit uns über Musik, Inspiration und natürlich auch seine Pläne für die Zukunft zu plaudern. Aber lest einfach selbst:
Medienkonverter: Hallo Stephan Groth, danke Dir, dass Du Dir etwas Zeit nimmst für ein Gespräch mit uns. Zuerst ein paar Fragen zu der Geschichte von Stephan Groth: Wann hattest Du die Idee eine Band zu gründen?
Stephan Groth: Oh, ich bin mir da nicht mehr so sicher, aber eigentlich müsste es so in etwa 1990 oder etwas früher gewesen sein. Da begann ich mit ein paar Freunden zu Hause Musik zu machen. Ohne große Erwartungen. Wir schrieben einfach ein paar Songs und stellten ein Demotape zusammen. Und schon nach einem Monat hatten wir einen Vertrag. Normalerweise arbeiten Bands vorher schon viele Jahre zusammen. Wir fingen also an verschiedene Richtungen elektronischer Musik aufzunehmen. Bandmitglieder und Livemusiker kamen und gingen. Doch ich bin von Anfang an dabei und würde Apoptygma Berzerk als mein Projekt bezeichnen. Und jetzt sind wir hier…auf dem M’era Luna Festival!
Medienkonverter: Du hast eine sehr musikalische Familie. War das der ausschlaggebende Grund für Dein musikalisches Interesse?
Stephan Groth: Ja und Nein. Ich denke es ist einfach normal, wenn man in einer Familie aufwächst, in der man ständig von Musik umgeben ist. Für mich stand sehr früh fest, dass ich Musik machen möchte. Es war einfach selbstverständlich für mich.
Medienkonverter: Ich habe gelesen, dass Deine Eltern große Anhänger der Rock’n’Roll Musik sind. Nun machst Du aber elektronische Musik. War das anfangs ein Problem für Deine Eltern?
Stephan Groth: Mmh…ja ein bisschen schon. Sie haben mir immer ihre Musik aus den 60igern vorgespielt. Ich denke, dass ich davon auch stark beeinflusst wurde, auch wenn es keine elektronische Musik war.
Medienkonverter: Wieso hast Du Deinen Namen von Grothesk auf Apoptygma Berzerk geändert?
Stephan Groth: Mein Nachname ist 'Groth', deswegen war früher mein Spitzname Grothesk. Die Band hieß aber eigentlich schon immer Apoptygma Berzerk.
Medienkonverter: Wie sieht es aus mit Vorbildern oder musikalischen Einflüssen? Gibt es die?
Stephan Groth: Da gibt es viele. Sehr beeinflusst wurde ich von elektronischen Bands wie Depeche Mode. (lacht) Wie es wohl bei jedem so ist. Aber auch von Rockbands aus den 60igern wie die Beatles oder Pink Floyd. Eben auch älteres Material. Das ist auch das was ich mit Apoptygma Berzerk mache. Ich versuche ältere und neuere Einflüsse zu verbinden.
Medienkonverter: Ich habe mal gelesen, dass Deine erste Maxi „Ashes to Ashes“ aus dem Jahr 1991, die auf 500 Stück limitiert war, heute bis zu 250-300€ wert ist. Hättest Du jemals gedacht, dass so was mit Deiner Musik passieren könnte?
Stephan Groth: Nein niemals. Ansonsten hätte ich einige Exemplare aufgehoben und jetzt verkauft. (lacht) Früher war es halt das erste Release und die wurde halt nur 500x kopiert. Das war kein großes Geschäft. Heute hat diese Platte dagegen Sammlerwert. Das ist schon großartig.
Medienkonverter: Und wann hast Du realisiert, dass das alles Wirklichkeit ist?
Stephan Groth: Es ist nicht einfach so passiert. Wir arbeiten nun schon seit etwa 10 Jahren an unserer Karriere. Es wurden halt von Tour zu Tour mehr Zuschauer und immer mehr CDs wurden verkauft. Es ist über die 10 Jahre gewachsen. Da steckt harte Arbeit dahinter.
Medienkonverter: Früher hatte eure Musik einen starken religiösen Einfluss. Ich erinnere mich da an das CD-Cover von dem Album „7“. Ich habe das Gefühl, das hat in letzter Zeit etwas nachgelassen?!
Stephan Groth: Mmh. (kurze Pause) Ja ein bisschen vielleicht. Ich selbst bin gläubig und dadurch wird es wohl immer religiöse Einflüsse in meiner Musik geben. Früher war es mir wichtig, das besonders deutlich zu machen. Und jetzt gibt es schon auch noch solche Einflüsse, aber etwas mehr versteckt, eben nicht mehr so offensichtlich.
Medienkonverter: Deine Musik ist ruhiger und harmonischer geworden. Würdest Du sagen, dass je älter Du wirst desto ruhiger wird Deine Musik?
Stephan Groth: Ja, es hat definitiv auch etwas mit dem Alter zu tun. Übrigens habe ich heute Geburtstag…
Medienkonverter: Na dann wünsche ich alles Gute...
Stephan Groth: Vielen Dank. Ich brauche heute nicht mehr solche harte und aggressive Musik machen. Mit 18 hatte ich noch dieses Bedürfnis, doch jetzt geht es mir mehr darum gute Musik zu machen. Die Bands, die jetzt 18 sind, sollen solche aggressive Musik machen. Ich tue einfach das was ich für richtig halte und was mir gefällt.
Medienkonverter: Wie lange arbeitest Du denn so durchschnittlich an einem Song?
Stephan Groth: Das ist unterschiedlich. Es gibt Songs, die schreibe ich in paar Stunden oder an einem Wochenende. Und dann gibt es Songs an denen ich Monate arbeite. Das hängt von der Inspiration ab.
Medienkonverter: Und was inspiriert Dich?
Stephan Groth: Sämtliche persönlichen Erfahrungen, das kann auch das Fernsehen oder ein interessantes Buch sein.
Medienkonverter: Seit eurem letzten Album „Harmonizer“ ist ja auch schn wieder etwas Zeit vergangen. Zwischenzeitlich erschien lediglich die „Singles Collection“. Wann können wir mit neuem Material rechnen? Und was wird uns erwarten?
Stephan Groth: Wir planen Anfang nächsten Jahres ein neues Album. Im Moment arbeiten wir an neuen Sachen. Etwas gitarrenlastig und rockiger. Es ist Zeit etwas Neues auszuprobieren. In etwa einem halben Jahr soll dann das Album fertig sein.
Medienkonverter: Neben Apoptygma Berzerk arbeitest Du noch an anderen Projekten, wie z.B. Fairlight Children oder als Backing Vocal bei Bruderschaft. Kannst Du mir etwas über diese Projekte erzählen?
Stephan Groth: Für mich ist es sehr wichtig viele Dinge nebeneinander zu machen. Eine Sache allein langweilt mich schnell. Die Idee für Bruderschaft stammt von DJ Rexx Arkana aus New York. Nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center hatte er die Idee ein Charity Projekt zu gründen. Dieses Projekt ist etwas völlig neues und einzigartiges in der Elektroszene. Es war etwas wo ich unbedingt dabei sein wollte.
Medienkonverter: Es war also Deine Idee dabei zu sein?
Stephan Groth: Nein, nein. Sie fragten mich. Fairlight Children geht dagegen mehr in die Richtung Retro, Synthie Pop und weiterhin habe ich noch einige Technoprojekte. Ich denke es ist sehr wichtig diese verschiedenen Projekte zu machen, um nicht in seiner Entwicklung stehen zu bleiben.
Medienkonverter: Das Projekt Bruderschaft ist sehr erfolgreich. Wieso habt ihr euch für einen deutschen Namen entschieden?
Stephan Groth: Oh, das weiß ich nicht. Sie haben mich gefragt, ob ich die Backing Vocals singen möchte und ich habe ja gesagt. Mehr weiß ich auch nicht. Das gesamte Konzept war die Idee von Rexx Arkana .
Medienkonverter: Das Projekt besteht ja aus verschiedenen Musikern der Szene. Sicher kanntet ihr euch alle schon vorher. Ich stelle es mir aber wahnsinnig interessant vor mit den eigentlich, wie soll man sagen, vielleicht „musikalischen Konkurrenten“ zusammenzuarbeiten?!
Stephan Groth: Auf jeden Fall. Ich finde dieses Musikprojekt ist sehr wichtig. Früher in den 80iger Jahren gab es schon so eine ähnliche Idee mit „we are the world“. Solche Projekte lassen die Künstler der Szene näher zusammenrücken. Das trägt zu einer guten Atmosphäre bei.
Medienkonverter: Das muss doch aber alles sehr stressig sein. Apoptygma Berzerk, Nebenprojekte etc. und ich habe gelesen, dass Du eine Tochter hast. Wie bekommst Du das alles in den Griff?
Stephan Groth: Kein Schlaf. (lacht) Nein, im Ernst. Du musst sehr konzentriert arbeiten. Wenn Du an etwas arbeitest, dann zu 100%. Wenn ich im Studio bin, dann konzentriere ich mich zu 100% auf die Musik und wenn ich bei meiner Tochter bin, dann gehört ihr meine hundertprozentige Aufmerksamkeit. Es ist hart!
Medienkonverter: Und Du kannst Deine Tochter nicht mitnehmen?
Stephan Groth: Nein, dafür ist sie noch zu jung. Aber vielleicht klappt es ja nächstes Jahr.
Medienkonverter: Und sicher würde es Dir gefallen, wenn sie später auch einmal Musik macht?
Stephan Groth: Auf jeden Fall. Ich hoffe es. (lächelt) Aber letztendlich ist es ihre Entscheidung.
Medienkonverter: In letzter Zeit hört man immer öfter Künstler dieser Szene mit ihren Songs im Radio, z.B. auch euch mit „Until the end of the world“. Ich habe viel Kritik über diesen kommerziellen Trend gelesen. Wie denkst Du über diese Kritik?
Stephan Groth: Ich denke jeder Musiker möchte, dass er mit seiner Musik möglichst viele Menschen erreichen kann. Auch ich möchte, dass so viele Menschen wie möglich meine Musik hören. Aber ich weiß welche Kritik Du meinst. Wir wären z.B. auch nicht mehr „underground“ genug. Aber das hat auch etwas mit dem Älterwerden zu tun, was wir vorhin schon besprochen haben. Ich bin seit 10 Jahren erfolgreicher Undergroundmusiker, jetzt möchte ich mich einfach weiterentwickeln.
Medienkonverter: Es ist für Dich also nicht wichtig, ob Du vor einem schwarzen Publikum auf einem Festival wie dem M’era Luna spielst oder bei einer einfachen kommerziellen Veranstaltung?
Stephan Groth: Auf einem Festival wie dem M’era Luna würde ich gern für den Rest meines Lebens spielen, aber genauso möchte ich Erfahrungen mit anderen Festivalveranstaltungen sammeln. Vor einigen Monaten haben wir z.B. in Israel gespielt. Es ist zwar ein Kriegsgebiet, aber wir haben auch dort Fans, die unsere Musik mögen und zu unseren Konzerten kommen. Wir spielen dort, wo uns jemand sehen möchte. Jetzt würden wir sicher nicht mehr nach Israel fahren, weil es ist einfach zu gefährlich ist, aber wenn uns ein deutscher Konzertveranstalter wegen einem Auftritt auf einem kommerziellen Festival fragt, werden wir sicher nicht absagen, weil die Veranstaltung zu kommerziell ist. Wir machen auch Musik für Leute, die einfach nur gute Popmusik mögen. Ich kann die Kritik also nicht ganz verstehen. Ich tue einfach was ich für richtig halte. Ich möchte mich nicht von solcher Kritik beeinflussen lassen.
Medienkonverter: Was bevorzugst Du: Festivals oder eine eigene Tour?
Stephan Groth: Das ist sehr verschieden. Bei einem Festival hast Du nur einen Auftritt. Du triffst viele Leute, es gibt Partys und wenn man noch so schönes Wetter hat wie dieses Wochenende, dann ist das wie Ferien haben. Eine Tour dagegen bedeutet Arbeit. Es gibt jeden Tag eine Menge zu tun.
Medienkonverter: Aber Du gehst gern auf Tour?
Stephan Groth: Ja, auf jeden Fall. Es ist mein Job.
Medienkonverter: Was sind Deine Pläne für die Zukunft mit Apoptygma Berzerk?
Stephan Groth: Momentan arbeiten wir an den Songs für das neue Album. Das ist immer ein langer Prozess bis ich mit dem Album zufrieden bin. Das Konzept, die Musik, die Texte. Das muss alles stimmen. Das ist harte Arbeit. Wir sind uns auch noch nicht ganz sicher in welche Richtung es diesmal gehen soll.
Medienkonverter: Und anschließend gibt es eine Tour?
Stephan Groth: Ja, wenn das Album veröffentlicht wurde. Also, vielleicht so Anfang des nächsten Jahres.
Medienkonverter: Und gibt es vielleicht noch einige Länder in denen Du gerne mal auftreten würdest?
Stephan Groth: Ja, vielleicht Japan. Ich war selber noch nie in Asien, aber ich glaube die Szene dort ist einfach zu klein.
Medienkonverter: Und sonst?
Stephan Groth: Waren wir bis jetzt neben Europa nur in Amerika.
Medienkonverter: Dort gibt es doch auch eine große Szene, oder?
Stephan Groth: Ja, aber etwas kleiner als die in Deutschland. Meist beschränkt sich das auf die großen Städte.
Medienkonverter: Gibt es Unterschiede in den Szenen? Wie ist das bei euren Liveauftritten?
Stephan Groth: Oh, da gibt es große Unterschiede. Das ist eine lange Geschichte. (lacht) Amerika hängt Deutschland in etwa 1 Jahr hinterher. Es ist sehr schwer dort mit elektronischer Musik Fuß zu fassen, da Amerika eher berühmt ist für Rock’n’Roll und Country. Es gibt schon einige große Elektrobands dort, wie z.B. The Prodigy, aber ansonsten sind Hip Hop, Gospel, Country etc. viel erfolgreicher.
Medienkonverter: Verlaufen die Konzerte dann auch ruhiger? Verhalten sich die Fans zurückhaltender?
Stephan Groth: Nein, überhaupt nicht. In Amerika sind elektronische Konzerte einen Seltenheit. Dagegen kannst Du in großen deutschen Städten jede Woche zu elektronischen Veranstaltungen oder Konzerten gehen. In Amerika ist vielleicht nur jeden Monat ein Konzert und von einer europäischen Elektroband vielleicht nur alle 6 Monate. Wenn dann ein Konzert ist, dann kommt jeder um eine gute Zeit zu haben. Entsprechend gut ist auch die Stimmung. In Europa, vor allem Deutschland, sind die Leute dagegen sehr verwöhnt in dieser Richtung. Nehmen wir z.B. das M’era Luna Festival. So etwas in dieser Art gibt es in Amerika gar nicht. Da geht es den Europäern schon richtig gut.
Medienkonverter: Okay. Ich bedanke mich für das Interview und wünsche Dir weiterhin viel Erfolg mit Apoptygma Berzerk.