Tiny Tim ‎– Tiny Tim's Christmas Album

Tiny Tim ‎– Tiny Tim's...

Es ist also mal wieder Weihnachten. Der 24. Dezember 2025. Der Tag, an dem wir uns traditionell gegenseitig beweisen, dass wir auch nach Wochen aus Plätzchen, Glühwein und Dauerbeschallung mit denselben zehn Weihnachtsliedern noch halbwegs zurechnungsfähig sind. Genau heute ist meiner Meinung nach der perfekte Moment für einen kleinen musikalischen Rückblick: Welche Weihnachtsalben haben uns all die Jahre begleitet – und welche haben uns dabei leise, aber nachhaltig verstört? Denn wenn man ehrlich sucht, landet man irgendwann nicht mehr bei warmem Kerzenschein und sanftem Glockengebimmel, sondern bei den verrücktesten, unglaublichsten und bizarrsten Weihnachts-Releases, die die Popgeschichte hervorgebracht hat. Und genau dort wartet er schon, grinsend, mit Ukulele bewaffnet und bereit, jedes festliche Sicherheitsgefühl zu sabotieren: ’Tiny Tim’ und sein legendäres ’Tiny Tim’s Christmas Album’.

’Tiny Tim’, bürgerlich ’Herbert Buckingham Khaury’, geboren 1932 in New York, war nie einfach nur ein Musiker. Er war eine Erscheinung. Ein wandelndes Zeitfenster in eine andere Epoche. Während andere in den 1960ern Rock, Psychedelia oder Protestlieder feierten, vergrub sich ’Tiny Tim’ obsessiv in uralte Schellackplatten, Vaudeville-Nummern und Tin-Pan-Alley-Songs aus den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Dazu entwickelte er ein Falsett, das klingt, als hätte ein viktorianischer Kinderchor einen sehr schlechten Tag. Sein Durchbruch kam im amerikanischen Fernsehen, wo er mit Ukulele, geschniegelt-wirrem Look und einer Mischung aus Naivität, Camp und gezielter Überzeichnung zur Kultfigur wurde. Viele hielten ihn zunächst für einen Gag. Dabei war er ein wandelndes Musiklexikon mit erstaunlich tiefem Wissen über frühe Popgeschichte. Dass ausgerechnet dieser Mann ein Weihnachtsalbum veröffentlichte, wirkt rückblickend wie ein kosmischer Witz – oder ein Geschenk an alle, die Weihnachten ohnehin nie ganz trauen wollten. Dieses Release wollen wir hier heute einmal näher betrachten und Euch auch vorstellen.

Musikalisch ist ’Tiny Tim’s Christmas Album’ zunächst überraschend traditionell. Die Arrangements lehnen sich stark an frühe Pop- und Unterhaltungsmusik an: altmodische Harmonien, gemütliche Tempi, nostalgische Klangfarben, irgendwo zwischen Salonmusik, Radio-Nostalgie und Kaufhausbeschallung aus einer Zeit, in der Weihnachten noch in Sepiafarben stattfand. Rein instrumental könnte das alles sogar harmlos durchgehen. Aber dann setzt die Stimme ein. Dieses Falsett. Diese akustische Grenzerfahrung. ’Tiny Tim’ singt nicht einfach Weihnachtslieder – er perforiert sie. Jede Zeile klingt überhöht, jede Silbe schwebt irgendwo zwischen kindlicher Verzückung, groteskem Theater und leichtem Unbehagen. Es ist, als würde ein sehr höflicher Geist aus den 1920ern beschließen, Weihnachten persönlich zu kommentieren.

Das wirklich Faszinierende ist dabei die völlige Unklarheit der Intention. Ist das ironisch? Ist das ernst gemeint? Ist das Kunst? Die Antwort lautet konsequent: alles gleichzeitig. ’Tiny Tim’ spielt mit Nostalgie, ohne sie gemütlich werden zu lassen. Er zitiert Tradition, ohne sie zu respektieren. Und er verwandelt Weihnachtsmusik, die eigentlich trösten soll, in etwas, das man eher aufmerksam, fast nervös verfolgt. Stilistisch bewegt sich das Album in einer komplett eigenen Umlaufbahn. Es ist weder modern noch bewusst retro im heutigen Sinne. Es klingt wie eine Parallelwelt, in der Weihnachten nie glattgebügelt wurde. Ein Ort, an dem Lametta leicht schief hängt, Kerzen zu hell flackern und niemand so recht weiß, ob gleich gelacht oder vorsichtig die Tür abgeschlossen werden sollte. Genau das macht den Reiz aus: ’Tiny Tim’s Christmas Album’ ist Weihnachtsmusik, die sich weigert, brav zu sein.

So verspielt, überzeichnet und skurril diese Kunstfigur auch war – das Leben von ’Tiny Tim’ fand ein Ende, das heute fast erschütternd symbolisch wirkt. Ende 1996 verstarb ’Herbert Buckingham Khaury’ während eines Auftritts auf der Bühne an den Folgen eines Herzinfarkts. Das letzte Lied, das er sang, war ausgerechnet ’Tip-Toe Thru’ The Tulips’ – jener Song, der ihn Jahrzehnte zuvor berühmt gemacht hatte. Später zeigten Fotos den Entertainer im Sarg aufgebahrt, seine Ukulele an seiner Seite, die ihm schließlich sogar mit ins Grab gegeben wurde. Tragischer, geschlossener und zugleich passender hätte sich der Kreis dieser außergewöhnlichen Künstlerfigur kaum schließen können.

’Tiny Tim’s Christmas Album’ ist ganz sicher kein Album für alle Mamas, Papas, Opas und Omas, die gerne den klassischen Weihnachtsklängen unter dem Tannenbaum lauschen. Es ist ebenso ungeeignet für Menschen, die an Weihnachten Ruhe suchen, Harmonie erwarten oder ihre Nerven schon beim dritten „Stille Nacht“ verlieren. Es ist kein Soundtrack für den Truthahn, kein musikalischer Kamin und schon gar nichts für die Playlist „Besinnlich & Entspannt“. Geeignet ist dieses Album für alle neugierigen Hörerinnen und Hörer, für Liebhaber des Abseitigen, für Fans von musikalischen Kuriositäten und für alle, die Weihnachten auch mit Humor, Irritation und einem gesunden Maß an Wahnsinn begegnen. Wer bereit ist, sich auf dieses bizarre Festtagserlebnis einzulassen, bekommt eines der ungewöhnlichsten Weihnachtsalben der Popgeschichte serviert. Perfekt also für unseren 24.-Dezember-Bericht hier auf www.medienkonverter.de – gerade auch dann, wenn man sich denkt: Jetzt haben wir dieses Jahr so viel Normalität gehört, heute darf Weihnachten ruhig auch mal komplett entgleisen.

In diesem Sinne: Lasst das Lametta schief hängen, die Ukulele verstimmt erklingen und die Weihnachtsroutine kurz aussetzen – frohe Weihnachten, und möge Euer Fest mindestens so unberechenbar sein wie ’Tiny Tim’s Christmas Album’.

Tiny Tim ‎– Tiny Tim's Christmas Album
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