Es gibt da diese Jahreszeiten, in denen die Musikindustrie eine Kreativität entfaltet, die man meist gar nicht bestellt hat. Die Vorweihnachtszeit ist eine davon! Kaum ist der erste Lebkuchen im Supermarkt gesichtet, schwemmt eine Flut an Festtagsalben an – vieles davon klingt, als hätte man in irgendeinem Keller eine Palette mit B-Stock-Weihnachtsaufnahmen gefunden und kurzerhand beschlossen: „Komm, kleb ein Rentier drauf, das verkauft sich schon.“ Zwischen klebrigem Zuckerguss-Pop, uninspirierten Electro-Einspielungen und den obligatorischen „weihnachtlichen Neuinterpretationen“ diverser Castingsternchen fällt es da echt schwer die richtigen Perlen zu entdecken.
Und dann gibt es ‘Tarja Turunen’. Eine Künstlerin, die nicht nur gegen diesen musikalischen Advents-Overkill anschreit, sondern ihn mühelos überragt. Die finnische Sopranistin – einst prägende Stimme bei ‘Nightwish’ und heute eine der faszinierendsten Solokünstlerinnen der Szene – hat erneut geschafft, wovor die meisten anderen Weihnachtssampler reflexartig kapitulieren: echte Atmosphäre, echte Größe und echte Kunst. Wenn Tarja ein Weihnachtsalbum veröffentlicht, dann nicht, um den Resterampen-Zirkus zu erweitern, sondern um ihn souverän zu pulverisieren.
Mit ‘Score For A Dark Christmas’, erschienen am 05.12.2025 legt sie eine Edition vor, die ihre gesamte winterliche Klangwelt bündelt. Der Titel wirkt vertraut, und das ist gar kein Zufall: 2017 schon erschien ‘From Spirits And Ghosts (Score For A Dark Christmas)’, 2023 folgte das theatralisch-düstere ‘Dark Christmas’. Das neue Release vereint erstmals einige Songs dieser beiden Alben in einer kuratierten Gesamtausgabe, ergänzt durch umfangreiche Blu-ray-Inhalte, Konzertmitschnitte, seltene Versionen und Behind-the-Scenes-Material. Kein einfaches Best-of-also-ob-man-sich-mühsam-durchs-Regal-gequält-hätte, sondern meines Erachtens nach eine komplette, luxuriös aufbereitete Winteredition.
Beim Hören entsteht auch schnell der Eindruck, dass dieses Material nie getrennt hätte erscheinen dürfen. Obwohl die Stücke meiner Recherche nach aus unterschiedlichen Jahren stammen, fügen sie sich hier zu einem einzigen, großen Winteropus. Die Arrangements reichen von sakraler Ernsthaftigkeit bis hin zu orchestraler Dramatik, und ich habe mich mehrfach gefragt, wie Tarja es schafft, selbst harmlos-fröhliche Songs so umzudeuten, dass man kurz überlegt, ob man nicht besser noch ein Licht anmacht. „Frosty The Snowman“ klingt plötzlich nicht mehr nach fröhlichem Schneemann, sondern eher nach einem, der im Halbdunkel des Waldes etwas zu lange niemanden gesehen hat.
Tarjas Stimme ist dabei natürlich das Zentrum, die Wärmequelle im musikalischen Schneesturm. Sie singt hier nicht, um zu glänzen – sie singt, um Geschichten zu erzählen. Ihre Zurückhaltung ist an vielen Stellen kraftvoller als jedes Opernfortissimo und die Arrangements schenken ihr Räume, die sich Stück für Stück öffnen. Beim zweiten, dritten Durchlauf entfaltet sich dann auch eine Tiefe, die ich bei gängigen Weihnachtsveröffentlichungen (siehe oben: Resterampe) nicht einmal ansatzweise erwarte. Die Blu-ray macht das Ganze endgültig zu einem runden Stück. Hier entfaltet sich Tarjas Kunst audiovisuell: Musikvideos, Konzertmaterial aus der Sibelius Hall, Liveaufnahmen der „Christmas Together“-Shows, Making-of-Szenen und zusätzliche Audiofassungen, darunter ‘Ave Maria En Plein Air’. Der Surroundmix ist nicht weniger als spektakulär. In dieser Form ist ‘Score For A Dark Christmas’ keine bloße Compilation, sondern die ultimative, definitive Winteredition von Tarja. Ein prachtvoll gebundenes Gesamtkunstwerk, das die zwei bisherigen Alben nicht einfach nebeneinanderstellt, sondern sie miteinander verschmelzen lässt. Frostig, düster, erhaben – aber nie kalt im Herzen.
Nun, für wen eignet sich dieses Release? Na klar, für Tarja-Fans sowieso. Für Liebhaber orchestraler Dramatik unbedingt. Für Menschen, die Weihnachtsmusik eigentlich nicht mögen, weil sie zu süßlich oder zu belanglos ist: ein möglicher Wendepunkt. Und für jene, die lieber zu „All I Want For Christmas Is You“ schunkeln – nun ja… die könnten hier möglicherweise nervös am Glühwein nippen und sich fragen, wer in diesem Wald eigentlich die Tür zugemacht hat. Für mich persönlich ist ‘Score For A Dark Christmas’ das, was viele Weihnachtsalben gerne wären: atmosphärisch, künstlerisch ernsthaft und dabei so herrlich dunkel, dass es selbst an den lautesten Adventstagen einen Moment echter Ruhe und Schönheit erschafft. Kurz gesagt: Ein Winteralbum für Menschen, die Weihnachten nicht nur feiern, sondern fühlen wollen – und zwar jenseits des Zimtstern-Kitschlevels.
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Tarja Turunen - Score For A Dark Christmas
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