Raoul Sinier - Brain Kitchen

Raoul Sinier - Brain Kitchen

In einer Zeit, in der sich der Mainstream immer wieder selbst plagiiert und selbst die sogenannte Independent- oder Underground-Szene längst im Strom der Belanglosigkeit verschwimmt, sind Künstler wie 'Raoul Sinier' rar geworden. Er ist einer dieser musikalischen Freigeister, die sich nicht in Schubladen pressen lassen – ein audiovisueller Alchemist aus Frankreich, der Beats, Bilder und bizarre Ideen zu einem ganz eigenen Kunstkosmos verschmilzt.

Nach der EP Huge Samurai Radish, die uns bereits einen wunderbar schrägen Vorgeschmack auf seine Fantasie gab, ist nun endlich das dazugehörige Album Brain Kitchen erschienen – und der Titel könnte kaum passender sein. Sinier lädt uns in seine metaphorische „Küche“ ein, wo Klang, Chaos und Kreativität miteinander verschmelzen. Doch Vorsicht: Das ist keine sterile Studioumgebung, sondern eher ein Labor, in dem gelegentlich etwas explodiert – und genau das macht den Reiz aus. Sinier war nie der Typ, der einfache Rezepte befolgt. Seine Musik ist eine Mischung aus präziser Komposition und absichtlicher Überforderung – wie ein Mixer, in den er alles hineingeworfen hat, was er in die Finger bekam: Electronica, IDM, Hip-Hop, Pop, Soundtrack-Elemente, sogar ein wenig Jazz. Das Ergebnis? Mal melodisch und schwebend, mal kantig und zerschnitten, mal düster, mal verspielt. Brain Kitchen ist eine Ansammlung von Extremen, die sich wundersamerweise zu einem stimmigen Ganzen fügen.

Während man beim Hören von Track zu Track taumelt, begegnet man den seltsamsten Gestalten. Die Fantasiefiguren, die Sinier auf dem Cover und in seinen Videos zum Leben erweckt – Wal-Menschen, Roboter, Froschkönige – scheinen durch die Songs selbst zu huschen. Jeder Track ist wie ein kurzes Kapitel aus einem ungeschriebenen Science-Fiction-Märchen, in dem sich Technik, Biologie und Träumerei ineinander verfangen. Was an Sinier besonders auffällt: Seine Musik klingt oft gleichzeitig retro und futuristisch. Der Synthiesound hat etwas angenehm Analoges, fast Altmodisches – als wäre er direkt aus den 70ern importiert worden. Doch die Kompositionsweise, die rhythmische Zerrissenheit und die filmische Erzählstruktur sind ihrer Zeit weit voraus. Brain Kitchen fühlt sich an, als würde jemand alte Instrumente benutzen, um die Zukunft zu vertonen.

Natürlich ist nicht jeder Moment makellos – und das muss er auch gar nicht sein. Sinier hat nie den Anspruch, gefällig zu klingen. Er spielt mit der Unvollkommenheit, mit Brüchen, mit Kontrasten. In dieser Unberechenbarkeit liegt sein Reiz: Wenn ein Track gerade noch wie eine melancholische Pop-Ballade klingt, kippt er plötzlich in eine aggressive IDM-Kaskade oder einen schwerelosen Ambient-Loop. Und trotzdem – oder gerade deshalb – ergibt alles Sinn. Man merkt: Brain Kitchen ist kein Produkt, sondern ein Prozess. Es ist ein Album, das lebt, atmet, sich windet und mit jedem Hören neue Facetten zeigt. Wer Musik liebt, die Überraschung zulässt, wird hier seine Freude haben. Wer hingegen nach klaren Strukturen und Wiedererkennbarkeit sucht, sollte lieber woanders speisen – in dieser Küche geht es heiß her.

'Raoul Sinier' ist kein Prophet, aber ein Visionär – einer, der uns zeigt, dass Experimentierfreude keine Attitüde ist, sondern eine Haltung. Vielleicht wird ihm der große Erfolg verwehrt bleiben, wie so vielen Künstlern, die sich zu weit aus dem Fenster lehnen. Aber das spielt keine Rolle. Brain Kitchen ist ein Beweis dafür, dass musikalischer Fortschritt immer dort passiert, wo man aufhört, ihn zu suchen. Am Ende bleibt ein Gefühl, das man kaum in Worte fassen kann: Man weiß nicht genau, ob man gerade ein Album gehört oder einen Traum durchlebt hat. Es ist verrückt, einzigartig, fordernd – und genau das, was Musik wieder sein sollte: eine Erfahrung. Und während der letzte Ton verklungen ist, bleibt ein Gedanke hängen – welcher Weg uns der Küchen-Messias Sinier wohl als nächstes servieren wird?

Raoul Sinier - Brain Kitchen
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