Ich höre sie schon mäkeln: „Das Album ist viel zu geradlinig, viel zu unexperimentell. Früher war alles besser. Und überhaupt undsoweiterundsofort. Ach, was waren das für Zeiten damals!“. Ich sage Euch etwas Ihr Meckerfritzen: Das ist Käse! Verzeiht, Rezensionen sind eigentlich nicht dazu da, um den Großkotz raushängen zu lassen oder total rumzusülzen, aber das muss ich nun einfach loswerden: In 11 knackigen Liedern zelebrieren Herr Boa, seine reizende Sangesgespielin Pia Lund und der fleißig musizierende Voodooclub Independent in Reinkultur. Aber das alleine will ja noch nichts heißen, so lief es ja schließlich immer im Hause Boa. Das Großartige an dem neuen Werk „Decadence & Isolation“ ist das umwerfende Spiel von alt und neu, das Zusammenwirken von rau und harmonisch, die Melange aus Wumms und Groove. Und das alles ohne nervige Retro-Attitüde, ohne Ich-Klinge-Ja-So-Frisch-Blabla, ohne überproduzierte Schnörkel, ohne Klischees, ohne künstliches Neuerfinden dafür aber mit ganz viel Ehrlichkeit und dem Gefühl für den leichten Hauch einer angenehmen Melancholie, denn wenn Phillip Boa von Angst und Zweifeln singt, dann glaubt man ihm, auch wenn man bereits fest im Leben steht und kein keifender Teenager mehr ist, denn Boa macht das anders als die vielen Weltschmerz-Kapellen. Er braucht kein kryptisches Gesabbel und kein Selbstmitleidstrip der beim Hören wehtut. Aber nun zu den Fakten: Vom glänzenden Popstückchen a la „Have you ever been afraid“ über historisch, musikalisch und lyrisch wertvolle Independentknaller wie „Making noice since 85“ bis hin zu demonstrativen Aufforderungen zu persönlichen Zustandsumwälzungen wie „Burn all the flags“ und Reggae-Rhythmus-Reißern wie das schmachtende „The people I saw where no angels“ ist auf diesem Album alles, was man sich nur wünschen kann. Das Ganze geht nach vorn, ab durch die Mitte, ohne große Umschweife. Klar. Aber deshalb ist es noch lange nicht zu abgeschliffen. Die rohe Schönheit bleibt – auch hinter der süßlichen Melodiefassade. Boa beobachtet von außen, von innen, von weit weg und aus der Nähe. Das alles presst er in seine Songs, die ??berquellen vor mitteilenden Texten, zauberhaften Melodien und der feinen Prise Verquirltheit. BOAs Musik ist nach wie vor unvorhersehbar. Er muss die Rockmusik nicht neu erfinden, um etwas Individuelles zu erschaffen. Sein innerer Drang zu zweifeln und zu suchen treibt ihn voran. „Decadence & Isolation“ klingt so punktiert, durchdacht und doch befreit, so neu und doch Boa-klassisch, so gerade und doch abgedreht als wäre er vorerst wieder einmal am Ende einer langen Suche angelangt. Am wohlverdienten Ziel. Oder ist das erst der Anfang? If you don’t know, I don’t know.