Paradise Lost - Ascension

Paradise Lost - Ascension

Stellt euch vor, ihr geht in eine alte Kathedrale: draußen prasselt Regen, drinnen flackern Kerzen, und irgendwo zwischen Orgelpfeifen und Schatten erhebt sich eine Stimme, die gleichermaßen tröstet wie erschüttert. Genau so fühlt sich seit Jahrzehnten die Musik von Paradise Lost an. Die Briten haben aus Verzweiflung eine Kunstform gemacht und dem Gothic Metal seine DNA eingepflanzt. 2025 melden sie sich mit ihrem 17. Album 'Ascension' zurück – ein Werk, das so klingt, als hätten sie all ihre düsteren Kapitel noch einmal aufgeschlagen, um daraus ein neues, noch gewichtigeres zu schreiben. Und ja, beim ersten Durchlauf dachte ich wirklich: Wenn jetzt die Nachbarn klingeln, fragen sie bestimmt, warum ich mitten am Nachmittag eine Totenmesse veranstalte.

Schon die ersten Takte von 'Serpent On The Cross' fühlen sich an wie ein Schlag in die Magengrube – wuchtig, doomig, unheilvoll. Dann dieser abrupte Ruck nach vorne, die Doublebass, das Thrash-artige Riff, Holmes’ Stimme irgendwo zwischen Grabesgrollen und bitterem Klagesang: genau so muss ein Opener klingen. Kein Anbiedern, kein Verstecken – Paradise Lost markieren sofort ihr Territorium. Und es wird schnell klar: Dieses Album will nicht nett sein, es will groß sein. Majestätisch, aber nie aufgeblasen. Schwer, aber nie träge.

Was mich an 'Ascension' so packt, ist diese Balance. Auf der einen Seite der Death-Doom, das schleppende Gewicht, die bedrückende Atmosphäre. Auf der anderen Seite die hymnischen Melodien, die tief in die Gehörgänge kriechen und dort nicht mehr rauswollen. Songs wie 'Tyrant’s Serenade' oder 'Silence Like The Grave' zeigen das in Perfektion: Eingängig, fast schon simpel, aber getragen von dieser unverwechselbaren Paradise Lost-Aura, die Melodie mit Verzweiflung paart. Und dann wieder diese stilleren Momente – etwa 'Lay A Wreath Upon The World', das mit sanften Akustikgitarren beginnt, dann in orchestrale Größe wächst und mit weiblichem Gesang eine Trauerhymne erschafft, die unter die Haut geht. Ich habe selten so gebannt gelauscht, wie sich ein Song von zarter Melancholie zu monumentaler Schwere aufbäumt.

Es gibt auf 'Ascension' keine Füller. Jeder Track trägt zum Gesamtbild bei – sei es 'Savage Days', das fast balladesk startet, oder 'The Precipice', das mit Piano-Motiven ein würdiges Finale setzt. Selbst die Bonustracks, die bei anderen Bands gern als Ausschussware durchgehen, fügen sich hier nahtlos ein und besitzen Gewicht. Man hat fast das Gefühl, die Band hätte im Studio gar nicht anders gekonnt, als ein Album ohne Schwächen abzuliefern. Auch der Sound ist schlicht überragend. Die Gitarren sind bissig, aber nie matschig, das Schlagzeug hat Schlachtfeld-Charakter und bleibt dabei klar differenziert. Der Bass wabert wie eine düstere Macht im Untergrund, und über allem thront Holmes, dessen Stimme so variabel klingt wie seit Jahren nicht mehr. Mal tief grollend, mal schneidend, mal klar und voller Verzweiflung – selten hat er ein Album so getragen. Man hört, dass hier nichts dem Zufall überlassen wurde, sondern dass jede Note, jede Nuance bewusst gesetzt ist.

Und ja – natürlich hat man als langjähriger Fan immer ein wenig Angst, dass die alten Helden es irgendwann nicht mehr bringen. Ich erinnere mich noch gut, wie ich damals mit 'In Requiem' zu Paradise Lost fand und zunächst ratlos war, was das eigentlich sein soll. Heute ist dieses Album ein Klassiker für mich – und 'Ascension' fühlt sich in seiner Wucht und Vielschichtigkeit ähnlich an. Ich habe mich beim ersten Durchlauf ertappt, wie ich dachte: „Bitte lass dieses Gefühl nicht enden.“ Es ist dieses seltene Erlebnis, ein Album zum ersten Mal zu hören und sofort zu wissen, dass man ihm noch jahrelang treu sein wird. Und ja, auch beim dritten Durchgang noch: Die Nachbarn schielen irritiert durchs Treppenhaus, ich hingegen genieße die Schwermut wie andere ein Glas Rotwein.

'Ascension' ist kein bloßes weiteres Album – es ist ein Triumph. Ein Werk, das Vergangenheit und Gegenwart verbindet, das die Essenz von Paradise Lost einfängt und sie zugleich neu erstrahlen lässt. Für alte Fans ist es Pflicht, für Neulinge eine nahezu perfekte Einstiegsmöglichkeit. Wer den melancholischen Doom-Death der frühen Tage liebt, wird begeistert sein. Wer hymnischen Gothic Metal sucht, ebenfalls. Nur wer mit Schwermut und Moll-Melodien partout nichts anfangen kann, sollte lieber fernbleiben – alle anderen bekommen hier ein Album, das weit mehr ist als nur Musik: Es ist eine Erfahrung. Meine Wertung: 4,5 von 5 Sternen – und das nur, weil ich mir insgeheim wünsche, dieses Album noch einmal zum ersten Mal hören zu dürfen.

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