Als Modern Talking im Frühjahr 1985 ihr Debüt "The 1st Album" auf den Markt brachten, ahnte wohl niemand, dass dieses Werk zu einem der stilprägenden Momente der europäischen Popmusik avancieren würde. Das deutsche Duo, bestehend aus dem charismatischen Sänger Thomas Anders und dem ideenreichen Produzenten und Songwriter Dieter Bohlen, gelangte mit seinem Erstling zu einer Harmonie aus eingängigen Melodien, tanzbaren Rhythmen und jener besonderen, sehnsuchtsvollen Aura, die den Pop-Sound der 80er Jahre so unverwechselbar macht.
Der Eröffnungstitel "You're My Heart, You're My Soul" kristallisiert sich rasch als Blaupause für den unverkennbaren Modern-Talking-Klang heraus. Die Synthesizer-Hooks, die pulsierenden Beats und Anders’ sanft-warme Vokaltimbrierung verweben sich zu einem Stück, das sowohl die Leichtfüßigkeit des Eurodisco als auch eine tiefe Melancholie in sich trägt. Mit "You Can Win If You Want" folgt sogleich der nächste Hit, der die grenzenlose Lebenslust jener Zeit widerspiegelt, aber eben auch diese gewisse, von kitschig anmutender Romantik durchtränkte Süße besitzt, die den Sound des Duos so charakteristisch macht.
Doch neben dieser sofort ins Ohr gehenden Eingängigkeit entwickelte sich rasch ein Kanon der Kritik: Nicht wenige belächelten die Band, warfen ihrer Musik Belanglosigkeit, übertriebene Süße und Oberflächlichkeit vor. Manch einer verortete sie in der Kategorie der kurzlebigen Pop-Eintagsfliegen. Doch die Wirklichkeit erzählte schon damals – und erzählt bis heute – eine andere Geschichte. Kaum eine europäische Band konnte in jener Ära auch nur annähernd ähnliche Verkaufszahlen vorweisen. Ihre Songs wurden nicht nur zu globalen Dancefloor-Favoriten, sondern fanden weltweit Nachhall, wurden in unterschiedlichste Sprachen übersetzt und gecovert. Dabei beschränkte sich die Faszination keineswegs auf Mainstream-Pop-Interpretationen: Selbst aus dem Gruft- und Gothic-Genre tauchten überraschend ernstzunehmende Coverversionen auf, die bewiesen, wie zeitlos und universell der musikalische Kern der Kompositionen tatsächlich ist.
Die zeitlose Essenz dieses Albums zeigt sich weiterhin auch in der Tatsache, dass die Melodien der Band kulturelle Barrieren scheinbar mühelos durchbrechen. Ein anschauliches Beispiel dafür liefert ein durchaus amüsantes Kapitel in der Bandhistorie: 1987 reisten die beiden Pop-Zauberer nach Moskau und Leningrad (das heutige St. Petersburg), um gleich zehn Konzerte in der damaligen Sowjetunion zu geben. Ziel war es nicht nur, die Russen vom unwiderstehlichen Westsound der 80er zu überzeugen, sondern ihnen, wie man damals halb augenzwinkernd, halb ambitioniert murmelte, vielleicht auch den westlichen Lebensstil näherzubringen. Immerhin standen Schulterpolster, Dauerwelle und endloser Konsumspaß hoch im Kurs – wer würde dazu schon Nein sagen? Nun, der Sound überzeugte zwar, der westliche Lebensstil allerdings blieb aber leider im Kleiderschrank der 80er-Jahre hängen, wie man heute erkennen kann.
Aber zurück zum Thema. Gerade "The 1st Album" demonstriert, dass Modern Talking mehr waren als ein kurzlebiges Pop-Phänomen. Titel wie "There's Too Much Blue In Missing You" oder "One In A Million" offenbaren zwischen all der tanzbaren Leichtigkeit auch einen nachdenklichen, oft sentimental-melancholischen Unterton. Diese emotionale Facette macht die Platte bis heute interessant und sorgt dafür, dass man den anfänglichen Spott längst als zu kurz gegriffene Reaktion verorten kann. Offensichtlich traf das Duo einen Nerv, der weit über die damalige Zeit hinausreicht. Die Musik modernisiert sich dabei immer wieder selbst, indem sie kulturelle und geografische Grenzen überwindet und in stetig neuen Interpretationen Gestalt annimmt.
In der Rückschau ist "The 1st Album" also kein reines Produkt seiner Ära, sondern ein zeitloser Meilenstein, ein Schmelztiegel aus Euphorie, Sehnsucht und melodischer Eleganz. Wer sich heute diese Songs anhört, vernimmt neben den typischen 80er-Jahre-Klängen auch etwas, das Generationen überdauert: ein universelles Gefühl, das von Nostalgie ebenso lebt wie von der Bestätigung, dass wahre Ohrwürmer keine kulturellen oder stilistischen Grenzen kennen. Modern Talking mögen belächelt worden sein – doch letztlich beweist die ungebrochene Präsenz ihrer Musik, dass derartige Lächerlichkeiten an der Strahlkraft zeitloser Pop-Songs abprallen wie Regentropfen an einem spiegelnden Discokugel-Mosaik.