Metropolis Live in Tettnang – wenn Vergangenheit Zukunft atmet

Metropolis Live in Tettnang –...

Am 26. April 2025 wurde das gemütliche Kino KiTT in Tettnang – 96 Plätze, niedrige Decke, viel Herzblut – zum Resonanzraum für Fritz Langs Zukunftsvision. Auf der Leinwand wurde die Murnau-Rekonstruktion von 2010 erwartet, möglich geworden durch einen Filmfund in Buenos Aires. Links neben der Leinwand, in ätherisch blauem Licht, stand Media-Artist Antonio Bras bereit, den Klassiker akustisch neu zu entzünden.

Lang und akribisch hatte der Künstler zusammen mit dem KiTT-Team im Vorfeld die Surroundanlage samt Subwoofer justiert und für das Filmkonzert angepasst, um die immersive Wucht und Konzertatmosphäre unverfälscht in jeden Winkel des Kinosaals zu bringen. Beim Start des Filmkonzerts fand sich die versammelte Menge binnen weniger Takte in einem akustischen Kraftfeld wieder, das Herz und Zwerchfell wie ein Magnet packte.

Warum diese Fassung wirkt

Bras behandelt Gottfried Huppertz’ Originalmusik liebevoll und verwandelt sie zugleich. Er arbeitet nicht gegen die berühmte Partitur, sondern umarmt sie – nur um sie im nächsten Moment in tausend Volt aufzulösen. Tiefe Bass-Sequenzen rattern wie Zahnräder, knirschende Synth-Flächen im Zusammenspiel mit Violinen und Streichern flirren über den Köpfen. Und plötzlich öffnet sich ein Chor aus verfremdeten Vocoder-Stimmen, als würde Marias Maschinen-Double selbst ins Mikro hauchen. Das ist keine dekorative Untermalung, sondern eine radikale Neuinterpretation, die Langs Stadt aus Stahl und Schweiß ins Digitalzeitalter katapultiert.

Bilder hören, Klänge sehen

Besonders eindrucksvoll: die Szene der Herzmaschine. Die Bildsequenz der wirbelnden Kolben und Kolosse bekommt bei Bras den pulsierenden Drive eines Technoclubs – doch statt Tanzfläche sehen wir Arbeiter, deren Knochen im Sekundentakt knirschen. Die soziale Botschaft wird brutal deutlich: Hier tanzt niemand, hier rackert eine Klasse, bis der Boden bebt.

Gleich danach gleitet der Sound in schwerelos schwebende Ambient-Töne, wenn Freder und Maria im ewigen Garten der Oberwelt aufeinandertreffen. Die Streicherpartituren öffnen buchstäblich Raum; plötzlich scheint Versöhnung zwischen oben und unten mehr zu sein als ein monochromes Intertitel-Versprechen.

Technische Grenzen, künstlerische Freiheiten und Nähe, die unter die Haut geht


Das KiTT ist ein bescheidener Saal, und gerade seine Nähe zum Publikum macht Bras’ Konzept greifbar. Ja, der Subwoofer ging streckenweise an die Schmerzgrenze, und in den Flut-Szenen vibrierte sogar die Leinwand – nicht störend, sondern gerade richtig, um die Dramatik körperlich erfahrbar zu machen. Aber genau in diesen Unschärfen lag die Wahrheit des Abends: Das Kino wurde zum lebendigen Organismus, der bebte, schwitzte und atmete.

Bras selbst – der Mann hinter einem Turm aus Keyboards, Drum-Pads und Effektgeräten – führte souverän Regie über jeden „Kiekser“, jede Delay-Schleife. Er spielte nicht einfach „zu“ einem Film, er spielte und fühlte mit ihm. Wenn Rotwangs Labor zuckt, hetzen Synth-Arpeggien los; wenn der Maschinenmensch sich erhebt, stemmt Bras mächtige Choral-Akkorde dagegen – als wollte er das Unheil bannen, das längst entfesselt ist. Der enge Saal machte jede Nuance spürbar. Bras, nur einen Schritt vom Publikum entfernt, drehte Regler, setzte Loops, ließ metallische Akkordzerlegungen aufflackern und drückte im nächsten Moment sakrale Harmoniewogen dagegen – immer im Dialog mit den Bildern.

Kopf und Bauch im Einklang

Was diese Aufführung so überzeugend machte, war Bras’ Balance zwischen intellektueller Lesbarkeit und körperlicher Wucht. Die EBM-Rhythmen liefern eine präzise semantische Schicht: Sie verweisen auf heutige Produktionshallen, auf automatisierte Beats, auf eine algorithmische Welt, in der auch wir werktäglich im Takt laufen. Gleichzeitig überlässt er uns nicht der blanken Dystopie. In den Liebes- und Visionsepisoden gönnt er uns durch Streicher- und Orgelsounds Klangkaskaden von fast sakraler Schönheit – ein Echo auf die alte Hoffnung, dass „Mittler zwischen Hirn und Händen das Herz“ sein müsse – ein Dialog von Ratio und Resonanz. So bleibt die Aufführung nie reine Technik-Show, sondern erzählt vom Menschen im Räderwerk, von Visionen, Gefahren und Chancen wie ein Initiationsritual, das nachhaltig prägt.

Ein Finale, das Grenzen sprengt und Funken schlägt

Die Stadt brennt, Klassen prallen aufeinander. Bras peitscht Trommelschläge, lässt sirenenhafte Synth-Stürme kreisen, bis jede Faser des Films zu vibrieren scheint. Der versöhnende Handschlag erklingt nicht in pathetischer Glorie, sondern in einem langen, schwebenden Akkordteppich, in dem Hoffnung und Zweifel koexistieren.

Erlösung. Die Leinwand dunkelt ab, der letzte Ton verhallt – und das KiTT explodiert in langanhaltende Jubelstürme. Kein gesittetes Stehen, sondern rufende, pfeifende Begeisterung. Kollektive Ergriffenheit, die den Moment festhalten will. Hier wurde nicht nur einem Klassiker Respekt gezollt, das Publikum begreift, dass es selbst Teil eines kreativen Akts war.

Fazit: Die Zukunft von gestern im Heute

Antonio Bras beweist: Metropolis ist kein museales Fossil, sondern ein Chamäleon, das jede Epoche herausfordert. Er lässt die fast hundert Jahre alten Bilder atmen, indem er ihnen Körper gibt – mutig, respektvoll und mitreißend. Seine Vertonung ist weder Revision noch Kosmetik – sie ist eine Einladung, den Film neu zu denken und zu fühlen. Wer wissen will, wie Fritz Langs Maschinenmonument durch den Filter des 21. Jahrhunderts klingt, sollte Bras’ nächstes Konzert nicht verpassen. Die Zukunft von gestern spricht heute – und sie klingt verdammt gut.

Weitere Infos und Termine findet man auf dessen Webseite: www.metropolis-live.de. Text: Sandra Nußer, Verwendetes Bildmaterial: © Tangoa Design / GogoSpace.


Metropolis Live in Tettnang – wenn Vergangenheit Zukunft atmet
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