Mehr Gefühl, weniger Irrsinn: Das neue Album der US-Band New Miserable Experience

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Aus den USA kommen derzeit bekanntermaßen zwei Sorten Nachrichten: jene über die weltpolitischen Verrenkungen der russischen Marionette Trump – und jene über Musik, die uns daran erinnert, dass dieses Land mehr hervorbringt als schlechte Reality-TV-Plotlines in Regierungsform. Genau hier setzen ’New Miserable Experience’ an, denn ihr drittes Album ’Gild The Lily’ (VÖ: 23. Januar 2026 via Pelagic Records) ist der seltene Glücksfall, bei dem amerikanischer Weltschmerz so kunstvoll verpackt wird, dass man tatsächlich wieder freiwillig hinsieht. Oder besser: hinhört.

Das Philadelphia-Kollektiv, das einst als Datei-Austauschprojekt zwischen David Grossman (ex-Rosetta) und Joshua Mahesh Kost begann, hat sich inzwischen zu einer stilbewussten Alternative-Synth-Rock-Maschinerie entwickelt. Mit Brody Uttley (Rivers of Nihil), Brett Bamberger (ex-Revocation) und Schlagzeuger B.J. McMurtrie (Rosetta) im Rücken geht die Band bewusst einen Weg fernab von Metal-Habitus und Instrumentenprotzerei. „Mood before muscle“ scheint das heimliche Mantra: zwölf Stücke, die statt großer Krachmomente die Kraft der Details feiern. Klanglich entschlackt die Band weiter – kein Schlagzeuger schlägt hier tatsächlich zu, denn jede Percussion ist programmiert oder gesampelt. Der Effekt: ein gleitender, manchmal fast schwebender Groove, der an The Black Queen, Crosses, Massive Attack oder Depeche Mode erinnert, aber mit deutlich rauerer, emotionaler Kante. Die Basslinien schimmern mal als Melodieträger, mal als dunkler Unterstrom, während Gitarren mit Chorus-Schimmer und Synthflächen ein Geflecht bilden, das in seiner Klarheit genauso detailliert wirkt wie in seiner Weite.

Inhaltlich zeigt ’Gild The Lily’ eine Band, die den Finger eleganter, aber nicht weniger schmerzhaft in die Wunden legt. Die Songs blicken auf emotionale Risse, soziale Heuchelei und die Frage, wie viel Fassade das moderne Leben eigentlich verträgt. „Payback From God“ greift die Lektüre eines Buches über den Konflikt in Palästina auf, während „Ordinary People“ und „Running the Fear of it Dry“ das absurde Theater vermeintlich „nahbarer“ Superreicher sezieren. Diese Texte sind nie überladen, sondern präzise – ein flüsternder Kommentar, der länger nachhallt als jeder politische Pressesprecher. Produktionell zieht Andrew Schneider (u. a. Julie Christmas, KEN Mode, Unsane) den roten Faden straff: Das Album klingt gleichzeitig intim und klar konturiert, als hätte jemand die dunkle Ecke eines Clubs direkt auf Kopfhörern materialisiert. Gastbeiträge von Eric Nyffler, Chris Alfano und Mike Armine setzen zusätzliche Akzente, ohne das fein balancierte Gefüge zu überladen.

Das Ergebnis ist ein Album, das seine Emotionalität nicht zur Schau stellt, sondern gestaltet. Ein melancholisches Kunstwerk, das statt Pomp und Pathos auf Präzision, Textur und geduldige Spannung setzt. Und ja: Es ist vielleicht das beste Argument seit Langem, dass aus den USA nicht nur politischer Irrwitz kommt – manchmal auch Klangkunst, die das Chaos für vierzig Minuten lang erträglicher macht.

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