Das 11. Studioalbum von Marilyn Manson steht kurz vor seiner Veröffentlichung. Aber wer mit „We Are Chaos“ eine Welt kritisierende Stimme erwartet, sprichwörtlich das „blanke Chaos“ in hartem Gewand, der irrt sich. Zwar hält das neue Werk auch diese „dunklen Angriffe“ bereit, doch es enthält vor allem eins – viel Gefühl und vor allem auch Leidenschaft -  also weg vom reinen Schockrocker-Denken.

Zunächst einmal geht es aber in „Red, Black And Blue“ erwartungsgemäß hart in die wabernde, dunkle Masse und du folgst der prophetischen Stimme mit ihren apokalyptischen Botschaften. „…walk the water without legs… destroy everything… everyone would eat themselves….” Das Böse thront psychedelisch geballt auf wilden Drums. Es gibt keine Wahl, kein Hinaus. Doch dann folgt der nächste Track, der Titelsong „We Are Chaos“. Und überraschend finden wir uns in melodisch beschwingtem Gitarrensound wieder, träumen uns irgendwohin, vielleicht auf den Gipfel der Rocky Mountains, wo das Land so unendlich weit ist. Melancholisch verträumt wirkt der Titel. „Baby, I`m your mistery. I can be your misery.” Doch die Verzweiflung tritt schließlich stimmlich heraus. Denn nichts ist, wie es scheint. Es folgt „Don`t Chase The Dead“ und wir finden dunklen, wabernden Wavesound und kraftvolle Drums. Und doch nehmen wir in dem Rockgemisch wahr, wie es sich melodisch findet. „No tomorrow!“, hörst du die eindringliche Stimme. Nichts bleibt für immer. Langgezogene Vocals verstärken den Inhalt der Worte und schließlich wird es fast unheilvoll gehaucht: „Don`t chase the dead!“ Der nächste Titel zeigt sich gefühlvoll und gedanklich ist man irgendwo, … vielleicht in einem alten Diner, indem man den letzten Tanz tanzt. Das Lied aus der Juke-Box ist fast verklungen und der Abschied auf unbestimmte Zeit steht bevor… So irgendwie fühlt man sich bei „Paint You With My Love“. Welche Bedeutung er auch immer für dich haben mag, er vermittelt eine ungeheure Düster-Romantik und Sehnsucht. Verträumt und sanft hörst du Gitarrenklänge, eine dahingleitende Melodie, schließlich die Tasten des Klaviers und dann die Drums, die an Kraft gewinnen wie die Stimme. „Let me paint you with my love.“ Und schließlich ist es ein ausufernder Gesang, Ausrufe, Leidenschaft. Dieser Song-Charakter bleibt zunächst in „Half-Way & One Step Forward“ erhalten. Du hörst das schnelle Keyboard auf verträumt-schöner Struktur, gemäßigte Drums. Lass deine Glocken läuten! Die Sonne ist da! Oder ist sie es nicht? Der Sound wird schnell voller und die Stimmen tun sich zusammen. Du willst es nicht wissen. Du weißt es nicht wirklich. „Don`t worry!“ Und nun wird es wieder ganz „Schocker-like“. Es folgt „Infinite Darkness“ – zunächst psychotisch, gemäßigt und dann vollkommen ausbrechend. Die schräge E-Gitarre dominiert die aggressiven Parts, die mal lauern und dann wieder toben. Fette Bässe, ganz Metal-like und die Stimme des Bösen. Sie steht über allem und thront auch im nachfolgenden „Perfume“ geballt über dem Sound, der deine Gedanken wirr durcheinanderstoben lässt. Wenn du nun dem Teufel begegnest? Oh der Duft deiner Haare… Die fette, dunkle Basslinie bleibt in „Keep My Head Together“ erhalten. „Changing yourself…“ Rollende, provozierende Vocals brechen impulsiv aus wie die schräge, fast leiernde E-Gitarre. „Keep your head together… fucking love you!“ Und dann folgt wieder eine kleine Täuschung. Mit „Solve Coagula“ vermuten wir wohl die gleiche unzensierte Härte, doch wir finden erneut die süße, milde Leidenschaft auf poppigen Drums – wahrlich ein Talent dazu, Melodien mit Herz zu schaffen und diese mit aufbrausenden Gesangsparts zu bestücken. „You are the one…“ Frech spielt die Gitarre auf unserer Melodie ihr Lied, provoziert, tanzt. Und es heißt: „I`m not special. I`m just broken.” Ständige Partwiederholungen geben dem Titel das Irre zurück. Und auch im Schlusstrack „Broken Needle“ finden wir die leidenschaftliche Gitarre wieder – zunächst. Und es wird voller, gewaltiger. Gitarre, Klavier, Drums, Gesang – und du bist mittendrin. „So close your eyes… it`s only dream…“ Nur ein Traum? Wofür kämpfst du? “I am a needle…“

„We Are Chaos“ hält für alle etwas bereit – öffnet aggressiv die Pforte zu tiefen, dunklen Abgründen und zeigt doch auch eine stürmische, gefühlvolle Leidenschaft. Es lohnt sich, eine Weile lang in diesem Fegefeuer der Abgründe zu toben.

 

Loma Vista Recordings/Concord Music

 

11.09.20

 

https://www.marilynmanson.com

 

01. Red, Black And Blue

02. We Are Chaos

03. Don`t Chase The Dead

04. Paint You With My Love

05. Half-Way & One Step Forward

06. Infinite Darkness

07. Perfume

08. Keep My Head Together

09. Solve Coagula

10. Broken Needle