Ich gebe es offen zu: Auch dieser Review lag bei mir länger auf dem berühmten inneren Stapel „mache ich später“. Nicht aus Desinteresse, sondern weil sich mein Verhältnis zu Lord Of The Lost in den letzten Jahren spürbar verändert hat. Seit dem großen Auftritt beim Eurovision Song Contest ist bei mir ein Teil der ursprünglichen Faszination leiser geworden. Nicht, weil Erfolg oder Sichtbarkeit per se abschrecken würden, sondern weil dieser Moment wie ein Brennglas wirkte: Er hat gezeigt, wie sehr die Band inzwischen als perfekt durchgeplantes, international funktionierendes Gesamtkonzept agiert. Ich habe den Text also vor mir hergeschoben, innerlich diskutiert, gezögert – aber was sein muss, muss sein. Also: hier kommt er. Freundlich, fair, aber deutlicher als mir selbst lieb ist.
Musikalisch lässt sich ’Opvs Noir Vol. 2’ kaum etwas vorwerfen. Die Produktion ist makellos, der Sound groß, dicht und auf internationalem Niveau. Alles wirkt bis ins Detail ausgearbeitet, nichts bleibt dem Zufall überlassen. ’Chris Harms’ führt stimmlich souverän durch diesen zweiten Teil der bewusst angelegten Trilogie, dessen Rolle klar definiert ist: verbinden, stabilisieren, zusammenhalten. Gothic Metal, Dark Rock, elektronische Texturen und Industrial-Elemente werden routiniert miteinander verzahnt. Im direkten Vergleich zu ’Opvs Noir Vol. 1’ – ein Punkt, den viele Rezensionen im Netz ebenfalls hervorheben – wirkt ’Vol. 2’ jedoch etwas homogener und berechenbarer. Wo der Auftakt noch mit Kontrasten, Frische und einzelnen Überraschungsmomenten arbeitete, setzt dieser Mittelteil stärker auf Wiedererkennung und Kontinuität.
Das schlägt sich weniger in klaren Schwächen nieder als in der Gesamtwirkung. Es gibt weniger Momente, die wirklich hängen bleiben, weniger Passagen, die irritieren oder neugierig machen. Auch das oft erwähnte Thema „Hits“ ist hier eher gefühlt als messbar: Nicht im Sinne schlechter Songs, sondern im Eindruck, dass sich kaum etwas deutlich vom sehr hohen Grundniveau abhebt. Alles ist gut, manches sehr gut, aber wenig fühlt sich zwingend oder unverzichtbar an. Statt Neugier dominiert Verlässlichkeit, statt Risiko Kontrolle. ’Opvs Noir Vol. 2’ klingt, als wüsste es sehr genau, was es sein will – und verzichtet bewusst darauf, diese Erwartungshaltung aufzubrechen.
Diese Kontrolle spiegelt sich auch in der Atmosphäre wider. Das Album ist düster, pathetisch und melancholisch, aber gleichzeitig erstaunlich aufgeräumt. Es bleibt selten wirklich bedrückend oder verletzlich, sondern inszeniert Dunkelheit eher als ästhetische Oberfläche denn als emotionalen Ausnahmezustand. Selbst die Stimme von ’Chris Harms’, die technisch sicher, variabel und präsent ist, wirkt hier stärker als Werkzeug im Dienst des Konzepts denn als Ventil für Kontrollverlust. Alles sitzt, alles funktioniert – doch genau dadurch entsteht für mich irgendwie eine spürbare Distanz.
Die zahlreichen Gastbeteiligungen fügen sich nahtlos in dieses Bild ein. Sie erweitern das Klangspektrum, wirken für mich aber oft eher strategisch gesetzt als künstlerisch notwendig. Besonders deutlich wird das bei ’Raveyard (Feat. Käärijä)’. Ich kann den Mut zu dieser Kollaboration absolut respektieren und verstehe den Ansatz mit Käärijä bewusst einen starken Kontrast zu setzen. Gleichzeitig merke ich, dass ich mit dieser Kombination nie wirklich warm werde. Der finnische Rap-Gesang setzt einen sehr dominanten Akzent, der mich eher aus dem Album herauszieht, als dass er es vertieft. Das ist keine Wertung gegen den Gastkünstler, sondern schlicht eine Frage des persönlichen Zugangs – ein Moment, der für mich mehr Bruch als Bereicherung darstellt.
Auch der Albumfluss unterstreicht diesen Eindruck. ’Opvs Noir Vol. 2’ besitzt einen gleichmäßigen Spannungsbogen, vermeidet abrupte Brüche und extreme Ausschläge. Das sorgt für ein rundes, geschlossenes Hörerlebnis, nimmt der Platte aber gleichzeitig dramaturgische Höhepunkte. Man gleitet durch das Album, ohne dass es wirklich fordert oder überrascht. Es lässt sich hervorragend nebenbei hören – was handwerklich betrachtet ein Kompliment ist, künstlerisch für mich jedoch ein Warnsignal darstellt. Mir fehlt die Dringlichkeit, dieses Gefühl von „Das musste jetzt genau so gesagt werden“.
Im größeren Kontext des Bandkatalogs wirkt ’Opvs Noir Vol. 2’ daher wie ein Album der Konsolidierung. Nach der enormen Sichtbarkeit der letzten Jahre hätte man auch ein bewussteres Gegensteuern erwarten können – stattdessen entscheiden sich ’Lord Of The Lost’ für Stabilität, Wiedererkennbarkeit und Markenfestigung. Das ist nachvollziehbar und konsequent, aber eben auch eine Entscheidung, die kreative Reibung zugunsten von Sicherheit reduziert.
Im Fazit bleibt ein respektvolles, aber nüchternes Urteil: ’Opvs Noir Vol. 2’ ist ein sehr gut gemachtes, professionelles Album, das seine Rolle innerhalb der Trilogie erfüllt und vielen Hörer:innen genau das gibt, was sie erwarten. Fans des aktuellen ’Lord Of The Lost’-Sounds, ESC-Neuentdecker:innen und Liebhaber:innen großer, polierter Dark-Rock-Entwürfe werden hier bestens bedient. Wer jedoch im Vergleich zu ’Opvs Noir Vol. 1’ auf mehr Überraschung, mehr Frische und mehr emotionale Reibung gehofft hat, dürfte ähnlich empfinden wie ich: nett, absolut hörbar, respektabel – aber nichts, das bei mir das Bedürfnis auslöst, es wirklich zu brauchen oder zu vermissen.
Lord Of The Lost - Opvs Noir Vol. 2
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