In einer Welt, die seit Jahren permanent in ihren Grundfesten erschüttert wird, verlieren die Menschen zunehmend Halt und Orientierung. Die von der Politik viel beschworene "Zeitenwende" trifft uns auf allen Ebenen: ökologisch, gesellschaftlich und politisch. Es findet eine Spaltung unserer Bevölkerung statt, die vorangetrieben wird durch Halbwahrheiten und "alternative Fakten", die sich fast barrierefrei durch die sozialen Netzwerke im Internet verbreiten. 2024 befindet sich Deutschland in einem Superwahljahr, das aller Wahrscheinlichkeit nach rechtspopulistische Kräfte in einige führende politische Ämter hieven wird. Wie die groß angelegten Demonstrationen der letzten Wochen jedoch belegen, werden diese Entwicklungen nicht mehr anstandslos hingenommen.

In dieser explosiven Stimmung veröffentlichen Klez.e ihr fünftes Werk "Erregung", das sich wie der lang ersehnte Soundtrack zum momentanen Lebensgefühl unserer Nation anfühlt. Die Post-Punker um den großartigen Poeten Tobias Siebert haben sich bereits 2017 durch den Vorgänger "Desintegration" hervorgetan, einer musikalischen Verbeugung ihrer großen Idole The Cure. Angelehnt an das inkommensurable Werk "Disintegration" von 1989, beobachtet die Band die unruhigen Jahre der Wiedervereinigung, ausgehend von Sieberts eigenen Erfahrungen, der selbst im Berliner Osten groß geworden ist.

Diese Verschränkung aus persönlich gefärbter, anspruchsvoller Tagebuchlyrik und politischem Kommentar perfektioniert Siebert auf "Erregung". Bereits der vorangestellte Titelsong, eine fatalsitische Tour de  Force von sieben Minuten Länge, liefert ein konzises Stimmungsbild der Republik ab, das sich aber aus Sieberts Jugenderinnerungen speist. Der Sänger und Gitarrist wendet dafür einen genialen Kniff an: Er triggert uns mit markanten Wörtern, singt von "Blasen gefüllt mit Steinen", was auf die Bubbles der sozialen Netzwerke mit ihren sich darin hochschaukelnden Ängsten verweist, während die "Schreihälse auf dem Schulhof" und die "Fauschtschläge" beim Völkerball auf die Radikalisierungstendenzen im Osten des Landes verweisen, die aber bereits in Sieberts Jugendjahren stattgefunden haben.

Eingebettet wird der Text, der dem Inbegriff des Weltschmerzes in seiner modernen Auffassung so nah wie selten zuvor kommt, in einen Sound, der sich offen zum Post-Punk der späten 80er Jahre bekennt und Klez.e, auch durch Sieberts stimmliche Ähnlichkeit mit Robert Smith, zu den deutschsprachigen The Cure macht. Da von den Altmeistern des gepflegten Trübsinns aber seit mehr als 15 Jahren kein neues Material mehr erschienen ist, können Klez.e ganz legitim auf die musikalische Tradition zurückgreifen.

Zumal Siebert und seine Mitstreiter Daniel Moheit und Filip Pampuch bei allen britischen Vorbildern die deutsche Melancholie in ihren Liedern fein ziseliert haben und somit eine nationale Identifikation schaffen, wie es keine andere deutschsprachige Gruppe im Post-Punk-Segment derzeit hinzubekommen vermag. Die Songs spiegeln die amorphe Semantik des Titels wider. "Erregung" beinhaltet Wut, Aggression, aber auch Zärtlichkeit, Liebe und (sexuelle) Begierde. In diesem Spannungsverhältnis entstehen solche wunderbaren Stücke wie "Herbstherz", "Wie schön du bist" und "Nachtflug", in denen sich die Erregung in vielen Nuancen offenbart. 

Die Quintessenz des gesamten Werks manifestiert sich auf "Tortur": "Wir sind wie die Welt nicht mehr zu retten. Meine Lippen auf Deinen." In all der Schlechtigkeit auf diesem Planeten kann nur die Liebe die (Er)lösung sein. Keine neue Erkenntnis, die aber im Lärm unserer Zeit immer mehr unterzugehen droht. Wie gut, dass Klez.e uns daran wieder erinnert und ganz nebenbei eine Platte geschrieben hat, die bereits jetzt als heißester Anwärter für das Album des - für Deutschland so schicksalshaften - Jahres 2024 gehandelt werden darf.