So schnell kann es gehen... Erst vor kurzem habe ich, nach langer Zeit, wieder einmal einen musikalischen Trip angetreten durch die frühen Jahre und Werke der legendären Elektronik-Formation TANGERINE DREAM, durch Alben wie "zeit", "atem" oder das wirre, nichtsdestotrotz ausnehmend interessante Debüt "electronic meditation", stilistisch weit neben späteren Veröffentlichung des Projektes um Mainman Edgar Froese und trotzdem schon ein frühes Zeugnis der Kreativität der beteiligten Künstler... und plötzlich rotiert mit "moonlake" der aktuelle Longplayer von Tangerine Dream- Gründungsmitglied und "electronic meditation" - Schlagzeuger Klaus Schulze in meinem Player, und während die Minuten verstreichen, überlege ich, wie ich mich in dieser Situation am besten aus der Affäre ziehen soll. Eine Jubel-Rezension ob des überdimensionalen Namens des Musikers? Oder zum Ikonoklast werden, das Album bis auf den letzten Takt auseinandernehmen? Schulze ist eine Legende, keine Frage. Tangerine Dream, Ash Ra Tempel, dazu weit über 50 Veröffentlichungen in 33 Jahren Karriere - der Musiker hat den Moog-Synthesizer-Sound vorangetrieben, verfeinert, perfektioniert wie kaum ein anderer, gehört derzeit zu den handwerklich und künstlerisch möglicherweise fähigsten Köpfen, die die Szene der elektronischen Musik zu bieten hat. Diese Fähigkeiten hört man "moonlake" an. In gewisser Weise ist diese jüngste Veröffentlichung die logische Fortsetzung dessen, was die "Berliner Schule" vor Jahrzehnten begonnen hat, ergeht sich Schulze in endlosen, hypnotischen, ausgefeilten Tracks wie "playmates in paradise" oder "mephisto", erlebt der Hörer anspruchsvolle Ambient-Musik in Reinkultur und verwurzelt in einer Zeit, in der die Geburt dieses Begriffes wohl noch gar nicht absehbar war. Einmal mehr zelebriert der vielseitige Musiker die Möglichkeiten des Mini-Moog und moderner Studio-Technik, spielt geschickt mit Rhythmen, Stimmungen und in die Tracks eingewebten Ethno- / Folk - Einflüssen und macht "moonlake" zu einem Album, welches durchaus hörenswert ist... ... aber leider nicht herausragend. Natürlich weiß Klaus Schulze definitiv um die Geheimnisse seiner Kunst, ist das Album vom ersten bis zum letzten Ton durchdacht und ausgereift und mit aller nur erdenklichen Perfektion in Szene gesetzt. Und dann? Dann schleicht sich, irgendwann, spätestens nach der Hälfte von "artemis in jubileo", das Warten ein, auf den Moment, auf dem das Album seine Wende nimmt, auf dem in einem plötzlichen Ausbruch von Inspiration erkennbar wird, daß Schulze eigentlich mehr ist als nur ein guter Techniker. Indes, solche inspirierten Momente lassen auf sich warten, und irgendwann verklingt "mephisto" im Raum, Stille zurücklassend und den Eindruck, daß man eigentlich mehr erwartet hätte. "moonlake" ist ein gelungenes, gutklassiges Werk voller stimmungsvoller Klänge, aber wir leben zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Viel ist passiert in der Welt der elektronischen Musik, gerade im (ähem) Ambient-Bereich, selbst die Verschmelzung von Ethno-Elementen mit Elektronik spätestens seit den kongenialen ersten Delerium-Alben nur noch bedingt neu, und viele junge Musiker schlagen stilistisch in eine Kerbe, die die Tradition der Berliner Schule mit der Moderne, mit neuen Elementen und neuer Inspiration verbindet, der elektronische Musik neue Kraft und Bewegung verleiht. Eigentlich bin ich sicher, daß jemand wie Schulze, dessen Lebenswerk wahrlich eine kaum zu erschöpfen scheinende Kreativität verrät, dort auch durchaus noch mithalten könnte. Mit Veröffentlichungen wie dieser funktioniert dies allerdings leider nicht...