Kinders, wie die Zeit vergeht. Das Leben rauscht an mir mit all seinen Forderungen und Aufgaben vorbei und ich blicke seit Wochen sehnsüchtig auf einige Alben, die ich hören durfte, aber einfach nicht dazu kam, ihnen ein paar Zeilen zu gönnen. Schluss damit, ich setze mich mal hin und ignoriere die Welt für eines der schönsten Hobbies in diesen düsteren Zeiten: Musik. Vor allem einen Monat vor Mä/erz.
Jonathan Hultén hatte mit seiner letzten Veröffentlichung ‚The Forest Sessions‘, auf denen er Stücke seines Debüts und der ersten EP authentisch und stark zurückgenommen aufgenommen hatte, mein Herz im Sturm erobert und ich halte genau dieses Album für einen unbedingten Pflichtkauf, von dem ich auch noch in Jahren schwärmen werde. Nun hat der Schwede, dessen Karriere im Metal begann, das zweite reguläre Album auf den Markt gebracht. ‚Eyes of the living night‘ knüpft vom Sound her eher an das Debüt an als an ‚The Forest Sessions‘ und ist ein Werk, das im Kern Folk mit rockigen und wavigen Klängen unterfüttert und Raum lässt zum dahinträumen. Und die ersten zwei Drittel des Albums sind, um es kurz zu fassen, genau das, was auf meiner Weihnachtswunschliste dick unterstrichen auftauchen würde. Was bedeutet dies für das gesamte Album, meinen Blick auf den Künstler und das abschließende Urteil?
Zunächst würde ich denjenigen, die Hultén bisher nicht auf dem Radar hatten, zu ‚The Forest Sessions‘ raten, das in seiner Gesamtheit das rundere und (ich möchte sagen) ehrlichere Album ist. Aber Hultén hat sich seitdem nicht verschlechtert, ‚Eyes of the living night‘ ist einzig ein Album, dass mehr Welten umfasst, opulenter produziert wurde und in seiner Gesamtheit nicht ganz so schlüssig ineinander greift. Wir beginnen mit dem rockigen „The Saga and the storm“, das mit Glockenspiel und sphärischen Klängen beginnt, bevor Hulténs wunderschöner Gesang in einen epischen Stimmungsmacher überleitet. Was für ein starker Einstieg, die Trommeln, der E-Gitarreneinsatz und die Orgeln – das baut auf und macht richtig Lust auf mehr. Die anschließenden drei Songs schwanken zwischen wavigen Klangteppichen, sanft verspieltem Folk und einer stillen kleinen Ballade mit kraftvollem Gesang. Ich bin ganz an Bord, alle drei Songs sind stark, aber sehr unterschiedlich in Gestaltung und Wirkung. Dann der (in meinen Ohren) Knaller des Albums: „The dream was the cure“ hat eine gewisse Western-Folk Ausstrahlung, man kann beim Hören kaum still sitzen, man will raus, nur hinaus. Das Akustikgitarrenspiel wird mit verzerrten Gitarren, Drums und Synthies dezent, aber spürbar bekräftigt. Wer ähnliche Gefühle empfindet wie ich beim Hören, hat spätestens jetzt das Album im Warenkorb. Es folgt ein verträumter Walzer, wundervoll und berührend, ein wunderschönes Piano-Instrumental und mit „Dawn“ eine rockige Ballade, die auch in den 80ern gepasst hätte. Danach verliert sich das Album für meine Ohren etwas. Wir sind aber bereits auf der Zielgeraden des Albums und ich kann verzeihen, dass nicht jedes Stück mich auf diese Weise mitreißen kann. „Vast tapestry“ ist zum Beispiel kein schlechtes Stück, aber mehr vom leise verspielten Folk, der bei anderen Stücken des noch recht jungen Musikers besser zündet. Gleiches gilt für „The oceans‘arms“ und epischen Rock. „A path is found“ ist ein an den Sound der Beatles erinnerndes Phsychedelicinterlude bevor „Starbather“ das Album in meinen Ohren viel zu harmlos und nett beschließt. Vielleicht ist für viele Hörer genau ein solch versöhnlicher und Kraft gebender Sound das, was sie sich wünschen. Ich aber bin raus bei einem Stück, das irgendwo in der Guns‘n‘Roses Diskographie besser gepasst hätte.
Jonathan Hultén trägt auf seinem zweiten regulären Album Genres, Sounds und Stimmungen zusammen, die so gar nicht zusammengehören, aber trotzdem in den meisten Fällen gut nebeneinander stehen können. Dass ich bei den letzten beiden Stücken dann doch nicht mitschwinge, liegt einfach daran, dass ich zu viel positive Energie nicht gut vertrage und diese Genres auf wenig Resonanz in meinen Herzen stoßen. Aber bei insgesamt drei von 12 Liedern, die nur als okay bis gut durchgewunken werden bleiben ausreichend Titel, die mir durchweg gefallen.
Leute, Jonathan Hultén ist in meinen Ohren ein großartiger Künstler und dieses Album ein weiterer Beweis dafür. Es ist schön, zu hören, wie er weiter an seiner Musikalischen Vision feilt, ganz so, als sei er aus Zeit und Raum gefallen. Er treibt dahin, das verknüpfende Element ist seine Stimme und er wählt Sounds und Stile aus unterschiedlichsten Epochen um schlussendlich eine versöhnliche Botschaft zu servieren. Es ist aber auch schön zu sehen, dass das Solo-Projekt auch optisch nicht nur den hohen Standard aufrecht erhält sondern ein verbindendes Element darstellt. Es gilt also eine unbedingte Reinhörempfehlung und, sollte es euch möglich sein, eine unbedingte Empfehlung, den Mann aus Live zu erwischen: Kauzig, etwas an die Ästhetik von Sopor Aeternus erinnernd und schwer ätherisch steht da diese Kunstfigur auf der Bühne, umringt von Pflanzen und einer zauberhaften Stimmung und trägt diese fantastische Musik vor. Ich zumindest war ergriffen, als ich ihn letztes Jahr in Hamburg zusammen mit Myrkur sehen durfte. Alle Daumen zeigen nach oben.
Jonathan Hultén - Eyes of the living night
31.01.2025 / Kscope, Edel
https://kscopemusic.bandcamp.com/album/eyes-of-the-living-night
- The saga and the storm
- Afterlife
- Falling mirages
- Riverflame
- The dream was the cure
- Song of transience
- Through the fog, into the sky
- Dawn
- Vast tapestry
- The ocean's arms
- A path is found
- Starbather