Ich habe 'Haus Arafna' vermutlich zum ersten Mal in den 90er-Jahren wahrgenommen – auf einer Party im legendären 'Ballroom' in 'Esterhofen'. Und nein, das war keine dieser Begegnungen, bei denen man sofort denkt: Wow, das ist genau mein Ding. Eher im Gegenteil. Zwischen all den vertrauten Szene-Klassikern lief plötzlich ein Track, der mit dem üblichen Klangbild jener Zeit nur am Rande zu tun hatte. Kein Song, kein Groove, kein erkennbarer Halt. Stattdessen etwas, das sich querstellte, sperrte, widersetzte.
Was mich dort erwischte, war keine Musik im herkömmlichen Sinn, sondern ein akustischer Übergriff. Dumpf pulsierende Bassschläge wie ein unregelmäßiger Herzschlag, analoge Geräusche, die eher klangen, als würden Kabel überlastet, Maschinen festfressen und Erinnerungen gleichzeitig zermahlen. Darüber eine Stimme, die nicht sang, nicht sprach, sondern sich förmlich aus dem Mix herauspresste – verzerrt, gequält, wie ein innerer Monolog, den man eigentlich für sich behalten wollte. Das Ganze wirkte nicht komponiert, sondern wie ein Zustand, der aus Versehen hörbar geworden war. Diese Musik ignorierte den Dancefloor vollständig. Sie wollte niemanden abholen, niemanden mitnehmen, niemanden trösten. Sie stand einfach im Raum wie kalter Rauch, legte sich auf alles, machte Gespräche unmöglich und Bewegungen sinnlos. Während anderswo Beats funktionierten und Songs funktionierten, funktionierte 'Haus Arafna' bewusst nicht. Und genau darin lag die Provokation. Das war kein Soundtrack für eine Nacht, sondern quasi ein Störsignal, ein Riss im Ablauf, ein Moment, in dem plötzlich klar wurde, dass Musik auch dafür da sein kann, Unbehagen zu erzeugen.
Und genau das machte Eindruck bei mir. Nicht als sofortige Begeisterung, sondern als nachhaltige Irritation. Als dieses nagende Gefühl, etwas erlebt zu haben, das sich nicht einfach wieder einordnen ließ. Rückblickend war es vermutlich genau dieser Moment, in dem 'Haus Arafna' begannen, sich bei mir festzusetzen – nicht als Lieblingsband, sondern als Referenzpunkt dafür, wie radikal, kompromisslos und unangenehm elektronische Musik sein kann, wenn sie sich jeder Erwartung verweigert. Das Projekt war nie eine Band im klassischen Sinn, sondern stets ein akustisches Protokoll innerer Zustände. Seit über drei Jahrzehnten erforschen nun 'Karl Tockweller' und 'Isabelle Montess' mit minimalistischen, analogen Mitteln Themen wie Angst, Determination und psychische Zerrüttung. Der von ihnen selbst geprägte Begriff Angstpop beschreibt dabei weniger ein Genre als einen seelischen Aggregatzustand – eine Musik, die nicht unterhalten will, sondern offenlegt.
Der Stellenwert von 'Haus Arafna' innerhalb von Industrial und Post-Industrial ist entsprechend hoch. Während viele Zeitgenossen ihre Klangsprache im Laufe der Jahre entschärft, poliert oder massenkompatibel gemacht haben, blieb dieses Projekt seiner Grundhaltung bemerkenswert treu. Reduktion statt Bombast, Konfrontation statt Eskapismus, Haltung statt Komfort. 'Haus Arafna' liefern keine Soundtracks für dunkle Clubs, sondern Musik für innere Räume, in denen man sich nicht unbedingt freiwillig aufhält. Mit dem Album 'Asche' erfolgte 2020 eine hörbare Rückkehr zur Aggression. Analoge Geräte brützelten wieder ungezügelt, Strukturen wirkten instabil, roh und bewusst destruktiv. Die 7"-Single 'Dunkelheit Bleibt' setzte diesen Weg fort. 'The Spring Heals' knüpft nun konsequent daran an – erneut reduziert, erneut verdichtet, erneut ohne jedes Entgegenkommen.
Nun, der Titel 'The Spring Heals' trägt meiner Meinung nach bereits den zentralen Widerspruch dieses Releases in sich. Wo andernorts Frühling für Neubeginn, Aufbruch oder Erlösung steht, wirkt diese Formulierung hier wie eine These, die absichtlich im Raum stehen gelassen wird. Ob Heilung tatsächlich stattfindet, bleibt offen. Vielleicht ist genau dieses Infragestellen der eigentliche Kern der Veröffentlichung. Musikalisch zeigt sich 'Haus Arafna' in maximaler Konzentration. Die Klangsprache ist minimalistisch, aber hochgradig aufgeladen. Vereinzelte Bassimpulse schlagen wie ein mechanischer Puls, dunkle Melodielinien schleppen sich durch einen Raum, der bewusst ohne Orientierung bleibt. Alles wirkt fragmentiert, brüchig, wie Erinnerungen, die sich nicht mehr sauber zusammensetzen lassen. Harmonie wird nicht gesucht, Auflösung nicht angeboten.
Inhaltlich kreist 'The Spring Heals' um depressive Zustände, innere Leere und das Gefühl, einem Mechanismus ausgeliefert zu sein, den man nicht mehr steuern kann. Der mantraartige Refrain behauptet Heilung, doch je öfter er wiederholt wird, desto stärker entsteht der Eindruck, dass es sich eher um einen Selbstversuch handelt als um eine Gewissheit. Trost wird hier nicht gespendet. Stattdessen entsteht Nähe – eine unangenehme, aber ehrliche Nähe zu dem beschriebenen Zustand. Die zweite Seite verschiebt den emotionalen Schwerpunkt deutlich. Auf Lähmung folgen Wut und Zorn. Verzerrte Noises, harsche Klangschleifen und ein Gesang, der nicht mehr reflektiert, sondern reagiert, verleihen der Musik eine aggressive Dringlichkeit. Aussagen wie „Du lebst, weil du lebst“ verdichten einen radikalen Determinismus: Existenz ohne Sinnangebot, ohne Aussicht auf Erlösung. Selbst Liebe erscheint nicht als freiwilliger Akt, sondern als Zwang, als etwas, dem man sich nicht entziehen kann.
Bemerkenswert ist, wie kontrolliert 'Haus Arafna' diese Eskalation inszenieren. Nichts wirkt plakativ oder übersteigert. Die Wut ist kein Ausbruch, sondern eine logische Konsequenz. Genau diese Zurückhaltung verleiht der Musik ihre nachhaltige Wirkung. Zwei Stücke reichen vollkommen aus, um diesen Spannungsbogen zu zeichnen. Mehr Material hätte die Intensität eher abgeschwächt als vertieft. Auch die äußere Form passt ins Bild: eine streng limitierte, handnummerierte 7", längst ausverkauft. 'The Spring Heals' wirkt weniger wie ein Produkt als wie ein bewusst gesetztes Zeichen – konzentriert, flüchtig und genau deshalb wirkungsvoll.
'The Spring Heals' richtet sich an Hörerinnen und Hörer, die Musik nicht als Ablenkung begreifen, sondern als Spiegel innerer Zustände. Wer sich für Post-Industrial, Angstpop und minimalistische Elektronik interessiert, die psychologische Tiefe über Zugänglichkeit stellt, findet hier ein Release von kompromissloser Konsequenz. Für langjährige Begleiter von 'Haus Arafna' ist diese Single keine Überraschung, sondern eine weitere Bestätigung der Haltung dieses Projekts. Gleichzeitig unterstreicht 'The Spring Heals' einmal mehr den Kultstatus, den 'Haus Arafna' sich über Jahrzehnte erarbeitet haben. Neue Veröffentlichungen gleichen inzwischen einem kleinen Wettlauf: Sobald ein neues Release auftaucht, heißt es schnell sein, aufmerksam sein, zugreifen. Wer zögert, schaut oft schon nach kurzer Zeit in die Röhre – und findet sich stattdessen auf Musikbörsen und Second-Hand-Plattformen wieder, wo die Nachbeschaffung zuweilen absurde Preisregionen erreicht. Das gehört inzwischen fast ebenso zum 'Haus Arafna'-Kosmos wie die Musik selbst.
Nicht geeignet ist 'The Spring Heals' für all jene, die im Frühling automatisch Leichtigkeit, Optimismus oder gar Erlösung erwarten. Diese Musik verweigert einfache Antworten und bietet keinen emotionalen Sicherheitsabstand. Wer Eskapismus sucht, wird hier ganz sicher nicht fündig. Mein persönliches Fazit: 'The Spring Heals' ist ein kleines, dichtes Release, das - zumindest bei mir - lange nachwirkt. Keine Heilung im klassischen Sinn, sondern eine schonungslose Bestandsaufnahme innerer Zustände. Und vielleicht ist genau diese radikale Ehrlichkeit – gepaart mit konsequenter Verknappung – der Grund, warum 'Haus Arafna' auch heute noch mehr sind als nur eine Band: nämlich ein Fixpunkt, dem man besser Aufmerksamkeit schenkt, sobald er sich meldet.
Haus Arafna - The Spring Heals
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