In den frühen Neunzigern schwappte die zweite Welle des Black Metal über die westliche Hemisphäre und brachte neben allerlei abgefackelten Kirchen, Gewalttaten und Morden, die zeigten, was passiert, wenn junge Menschen aus zum Teil dysfunktionalen Familien zu viel Alkohol trinken, auch die Wurzeln des Black Metal Sounds mit sich, der sich bis heute in weiten Teilen der Veröffentlichungen wiederfindet. Doch die Klassiker, die man benennen muss bestehen nicht nur aus reinen Rumpelkammern mies aufgenommener Schepperattacken, schon früh zeigten einige Vertreter einen dezenten einen Hang zu allerlei Experimenten, so zum Beispiel in Form von Folklore. Und an dieser Stelle muss man natürlich ‚Kveldsanger‘ nennen, das 1995 ein reines Akustikset darstellte, nordisch, mystisch, minimal. 

Ulver schufen mit ihrem zweiten Werk einen kleinen Klassiker, auf dessen Sound sich Bands wie Empyrium, Dornenreich, etc berufen und der in meinen Ohren am Besten von Tenhi und Byrdi in der Neuzeit transportiert wird. Einer der Köpfe war damals Håvard Haavard Jørgensen, damaliges Mitglied von Ulver und nach allerlei Exkursionen in der Welt der Musik aktuell Teil der Black Metal Band Dold Vorde Ensd Navn. Und mit vorliegendem selbstbetitelten Werk setzt er ‚Kveldssanger‘ quasi fort. Braucht man das? Und kann das gut gehen? Der Zeitpunkt der Veröffentlichung könnte in meinen Ohren nicht besser gelegen sein: Gerade friert der Norden Deutschlands bitterlich, die Tage sind sonnendurchflutet, die Nächte sternenklar und alles erstarrt in kristallklarer Kälte. Und ‚Haavard‘ ist quasi mein Soundtrack für Exkursionen durch diese Landschaf unter Null. Alles steht still, wirkt einsam und zerbrechlich, die Atmospäre ist aber nie negativ, sondern versprüht eine unbändige Kraft. Bereits mit dem einleitenden „Printemps“ wird der Weg ganz gut vorgegeben, Streicher und dezentes Drumming begleiten die im Zentrum zerbrechlich wirkende Akustikgitarre. 

Der Aufbau des Songs, der durch Wiederholungen des immergleichen Themas mit Steigerungen der Dramatik durch Hinzufügen weiterer Instrumentenspuren und Lautstärke intensiviert wird, erinnert an die Wurzeln im Black Metal und zum Ende hin kann man schon von einer gewissen Epik im Klang sprechen. Die ersten fünf Lieder schrauben die Erwartungen extrem hoch, wenn man Freund solcher minimaler Folk-Kost ist. Wirklich hoch. Später können „Eastwood“, „Niende mars“ und die beiden Abschlusssongs noch einmal richtig punkten – das restliche Material ist an keiner Stelle misslungen, jedoch geht es im insgesamt sehr homogenen Sound des Albums unter - eine typische Gefahr bei rein instrumentalen Alben, für mich aber leicht zu verzeihen. Haavard ist in meinen Ohren ein perfektes Album für Wanderungen durch Eis und Schnee oder Winterabende am Feuer gelungen – ich wage an keiner Stelle, einen qualitativen Vergleich mit ‚Kveldssanger‘ anzustellen, denn dafür ist das Original viel zu sehr in den Ohren und Herzen der Gemeinde verankert. Jedoch, ich persönlich sehe das 1995er Werk als weiteres Album der Sparte „noch nicht perfekter, aber wichtiger Ursprung“. 

'Haavard' wirkt schlüssiger, 53 Minuten pure akustische Poesie. Ganz besonders empfehle ich „Oberon“ und „Snøhetta“, denn diese beiden Titel transportieren in meinen Ohren noch einmal ein Pfund mehr Emotionen - Wundervoll. Unerwartet kam dieses kleine Juwel zu mir, ein gänzlich unmodernes Album, das alte Gefühle neu erwecken konnte und einfach gut tut. Und Haavard hat es geschafft, dieses Album überraschend abwechslungsreich aufzubauen und der Sound ist Bombe. Selbst in den nur guten Momenten des Albums bin ich ganz beglückt und froh, dass ein eher mittelprächtiges Musikjahr 2022 immerhin mit einem kleinen Tusch endet. Wer sich also an ein Folk-Album der ganz alten Schule wagen möchte, Zeit und Geduld mitbringt und sich den Winter versüßen will: unbedingt zugreifen! 

Haavard - Haavard prophecy productions / 11.11.2022
https://de-de.facebook.com/HaavardOfficial/
01. Printemps
02. Heartwood
03. Oberon
04. The Chase
05. Snøhetta
06. Emmanuelle
07. Eastwood
08. Niende Mars
09. Kveldssang II
10. Sørgemarsj
11. Mot Soleglad (Feat. Kris/Ulver)
12. Myrull
13. Athena