Damit man sich das noch mal vergegenwärtigt: Als Girls Under Glass ihr letztes, formidables Album "Zyklus" (auf dem der immer noch hörenswerte Gassenhauer "Ohne Dich" enthalten ist) veröffentlichten, rechneten die meisten von uns immer noch Euro in D-Mark um, löste Angela Merkel gerade Gerhard Schröder im Kanzleramt ab und beerbte Kardinal Josef Ratzinger als Benedikt XVI. den Platz vom verstorbenen Papst Johannes Paul II. Das war 2005! Nun, 18 Jahre später, hat die Formation um Thomas Lücke und Volker Zacharias mit "Backdraft" den kaum mehr für möglich gehaltenen Nachfolger fertiggestellt.

Und es ist ein bisschen so, als ob man einen Freund aus alten Tagen, zu dem man lange keinen Kontakt hatte, wieder trifft: Zweifel plagen einen, ob man sich überhaupt noch versteht, oder ob sich die Lebenswege in komplett andere Richtungen bewegt haben, sodass man keinen Zugang mehr zum ehemaligen "best buddy" findet. Bei Girls Under Glass verpuffen die Zweifel recht schnell. Denn das Quartett besitzt immer noch den Spirit vergangener Tage, der aber nicht wie aus einer Konservendose mit längst überfälligem Mindesthaltbarkeitsdatum wirkt, sondern so, als haben sich die, mittlerweile gestandenen, Männer das erste Mal in einen Proberaum verschanzt.

Soll heißen: "Backdraft" klingt nicht wie Altherrenmusik, sondern besitzt den Zauber des (Neu)anfangs. Dass es gerade eine Fremdkomposition ist, die hier besonders zu Buche schlägt, mag da nicht weiter stören. "Tainted" stammt im Original von Mortiis und wurde von Girls Under Glass in seiner Struktur belassen, aber hier und da verfeinert, sodass der Song, der auch schon seine 15 Lenzen auf dem Buckel mit sich rumträgt und damals sträflich ignoriert wurde, frisch aufpoliert endlich seinen verspäteten Siegeszug in den Clubs antritt.

"Tainted" steht darüber hinaus sinnbildlich für die gesamte Idee hinter "Backdraft", die den Brückenschlag zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart unternimmt, dabei gleichzeitig die verschiedenen stilistischen Phasen, die Girls Under Glass im Laufe ihrer Karriere durchlaufen haben, zu bündeln. Von minimalem Cold Wave klassischer Provenienz, perfekt in "Eiskalt Sunburst" und "Tanz im Neonlicht" verarbeitet, bewegt sich das Gespann hin zu druckvollen Elektronik-Rock-Nummern ("Endless Nights") und Gothic alter Schule ("Nightkiss"). Und "Everythign Will Die" packt ganz viel 80er-Jahre-Flair in die Synthesizerparts, ganz so, als ob Gary Numan mal kurz im Studio vorbeigeschaut und mitgemacht hat.

Dabei gelingt es den Jungs, die Stücke knackig zu halten und musikalisch auf den Punkt auszuerzählen. Sie wissen genau, wieviel "Drumherum" ein Stück verträgt und arbeiten die Quintessenz der Songs perfekt heraus. Alle zehn Lieder wirken routiniert, ohne routiniert zu klingen. Das ist dann vielleicht doch die Gnade der frühen Geburt. Die ganze Truppe besitzt jahrzehntelange Erfahrung im Musikbusiness. Axel Ermes, bei GUG an den Keyboards, gehört beispielsweise zur festen Größe in der Szene. Als Tonmeister für Liveauftritte von unter anderem VNV Nation und Project Pitchfork, besitzt er einen ganz anderen Background als Otto Normalmusiker, was natürlich auch für Volker Zacharias und Thomas Lücke gilt, die zu den dienstältesten Musikern der Band zählen, die schon einige Line-Up-Wechsel hinter sich gebracht hat. All das schwingt bestimmt mit und unterscheidet schlussendlich einen Girls-Under-Glass-Song von einem herkömmlichen Schwarze-Szene-Stück.

"Backdraft" ist ein gelungener Neustart geworden. Ein Album, unaufgeregt und einfach nur aus Spaß an der Freude zur Musik entstanden. Bleibt zu hoffen, dass sie sich nicht nochmal 18 Jahre Zeit lassen für einen nächsten Longplayer.