Als einmaliges Experiment haben Black Nail Cabaret "Woodland Memoirs" angekündigt und sich deswegen kurzerhand als Black Nail Cabaret And Friends umgetauft. Die Idee dahinter ist an sich ein alter Hut: Songs aus ihrem Portfolio werden neu arrangiert. Kennt man, kommt in den besten Familien vor. Mit welcher Furchtlosigkeit die Ungarn jedoch ihr eigenes Material neu verarbeiten und quasi als Nebenprodukt eines der schönsten Mitternachtsalben dieses Jahres geschaffen haben, bei dem auch Sängerin Emese Arvai-Illes auf einem ganz anderem Level performt, ist mehr als bemerkenswert. Doch der Reihe nach.

Normalerweise stehen Black Nail Cabaret für einen anspruchsvollen Hybriden aus Cold Wave und Dark Pop, den sie seit mittlerweile 15 Jahren mit jeder Veröffentlichung weiter nuancieren. Alben wie "Emerald City", "Gods Verging On Sanity" oder zuletzt "Pseudopop" sind wunderbare Kleinode, die eigentlich noch viel mehr Zuspruch und Aufmerksamkeit erhalten sollten. Nichtsdestotrotz ist der Name Black Nail Cabaret mittleweile ein etablierter und das Projekt um Sängerin Emese und Soundtüftler Krisztian Arvai erfreut sich einer soliden Fangemeinde.

Jede/r ambitonierte/r Musiker/in gelangt aber wohl zwangsläufig an einen Punkt, an dem man sein eigenes Schaffen hinterfragt und sich vielleicht auch anderen Ausdrucksmöglichkeiten öffnet. Jedenfalls wirkt es so, als ob sich Black Nail Cabaret danach gesehnt haben, sich aus ihrem - zugegebenermaßen immer noch ansprechenden - Korsett zu brefreien. Denn "Woodland Memoirs" deutet die ganze bisherige Herangehensweise des Duos um. Die Elektronik wird entweder komplett aus den Kompositionen verbannt oder bekommt wie etwa in "Dora" oder "Bete Noire" lediglich einen kleinen Gastauftritt. Stattdessen übernimmt ein klassisches Instrumentarium die Szenerie.

Damit diese musikalische Umfruchtung vortrefflich gelingt, hat das Zweiergespann Hilfe von anderen befreundeten Kollegen geholt, von denen vor allem Márton Barják heraussticht, einfach weil er als Saxophonist den Songs mit seinem superben Spiel eine ganz neue Richtung vorgibt. Ehemals in einer Ska-Band unterwegs, verleiht Márton den im Original eher spröden Songs eine dunkel schimmernde Eleganz. Auf "Rhythm X" wird er kongenial von Tamás Számvéber unterstützt, dessen tiefenentspannte, aber gleichzeitig schummrige Bearbeitung der Gitarre insbesonders dieses Stück in die Tradition großer Murder-Ballads rückt. Nicht zuletzt sei noch Péter Laskay zu erwahnen; sein dynamisches Schlagzeug verleiht den neuen Klängen die nötige Erdigkeit.

Dieser völlig anders geartete Rahmen wird den geneigten Fan vielleicht zunächst etwas irritieren. Doch jeder, der halbwegs sich die Fähigkeit des Über-den-Tellerrand-Schauens angeeignet hat, wird erkennen, dass "Woodland Memoirs" nicht nur ein kleiner Ausflug in andere musikalische Gefilde aus Spaß an der Freude ist (ist es sicherlich auch). Vielmehr kann man anhand dieser Platte eine wichtige Erkenntnis ziehen: Die Songs von Black Nail Cabaret besitzen ein unglaublich großes Potenzial, da sie auch in neu arrangierter Form immer noch funktionieren, vielleicht sogar besser als die Originale

Ziehen wir "Sister Sister" als Beispiel heran. In seiner Ursprungsform mäandert diese Nummer zwischen Cold-Wave-Synthesizern und mechanischen Vierviertelbeats umher. Nun ist daraus eine Ballade im wogenden Dreivierteltakt geworden, mit langsamerem Tempo und einer, dank des neuen Arrangements, wärmeren wiewohl nicht optimistischeren Atmosphäre. Doch durch die Ummodelung des Stücks darf Ermese nun divengleich ihren Text vortagen, mit  langgezogenen Wörtern, die sie über alle Maßen auskostet. Um es cineastisch zu sagen: Zuvor mutete "Sister Sister" wie ein expressionistischer Film aus den 1920ern an, jetzt könnte er ein Streifen von David Lynch sein.

Eine weitere Erkenntnis aus diesem Experiment: Black Nail Cabaret wissen sehr genau, was sie wollen und können dies scheinbar mühelos in die Tat umsetzen. Denn sind wir doch mal ehrlich: Wie oft haben sich Bands daran versucht, ihre Songs in ein anderes Genre zu verfrachten, sind dabei aber heillos überfordert, uninspiriert oder schlicht nicht talentiert genug dafür. Schuster, bleib bei deinen Leisten? Das gilt nicht für dieses Duo, welches sich offensichtlich mühelos in andere Stile reinversetzen und sie mit Leben füllen kann.

Der einzige Wermutstropfen an dieser Geschichte ist aber eben der Fakt, dass so ein musikalischer Exkurs wohl nicht noch mal stattfinden wird. Was wirklich schade ist, denn man gewöhnt sich recht schnell an diesen neuen Black-Nail-Cabaret-And-Friends-Sound, dass man ihn gar nicht mehr missen möchte und auch nach einem Nachschlag giert. Sollte der Zuspruch aber groß genug sein, könnte es sie unter Umständen ja zum Umdenken bewegen.