Endlich ist sie da: die Biographie einer der wohl am meisten missverstandenen Personen der letzten Jahre: Wollita! Leicht bekleidet mit Slip und geringelten Kniestrümpfen stand sie 2004 in ihrer grobmaschigen Art im Rampenlicht der Boulevardpresse, auf eine Art und Weise, mit der sie so nicht gerechnet hatte. Dabei wollte sie doch nur in der Ausstellung "When Love Turns to Poison" im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien in Berlin dazu beitragen, dass sich die Menschen mit dem Thema Liebe und Sexualität und auch mit den dabei vorhandenen Schattenseiten auseinandersetzen. Dass die Zeitungen, die sonst auf Seite 1 spärlich bekleidete Damen auf Motorrädern mit Überschriften wie ‚Manuela und ihr heißer Ofen’ präsentieren, pornographische oder gar pädophile Aussagen in einem 1,74m großen, dem Körper einer Frau nachempfundenen Topflappen sehen (Verzeihung Wollita, das bist Du nun mal…), ist es schon alleine Wert, die Geschichte dieser zum Leben erweckten Puppe in einem Buch festzuhalten. In der ersten Hälfte des achtzigseitigen Werkes im praktischen, broschierten Hosentaschenformat erzählt Wollita unterhaltsam die Geschichte ihres bisher so kurzen Lebens: mit 18 geboren (von wegen Kinderporno-Ausstellung!) ist sie doch heute noch keine zwanzig Jahre jung! Man erfährt, dass Wollita geringelte Kniestrümpfe an hat, da das ‚Wollparadies Fadeninsel’ nicht genug fleischfarbene Wolle hatte, dass Brezel Göring des nachts in Françoise’ Wohnung von der halbfertigen Wollita im Mondschein erschreckt wurde, was Wollita so während der Ausstellung alles angetan wurde, wie sich eine ganze Menge Berliner dafür einsetzten, dass Wollita den BZ Kulturpreis 2005 bekommt und wie man Wollita trotz Ticket den Platz im Flug nach Paris verweigerte. Der zweite Part des Buches, in dem Wollita mit den zwei Woll-Tuntenfischen des schwulen Museums in Berlin über Gott und die Welt philosophiert, fällt im Vergleich zum ersten Teil dann leider etwas ab und hat, trotz der geringen Seitenzahl, so seine Längen. Versöhnt wird der Leser schließlich am Ende des Buches durch die ans Herz gehende Danksagung der sympathischen Wollita. Geschickt nutzt Wollita inzwischen ihre überraschende Medienpräsenz dazu, eine Gesangskarriere zu starten. Die ersten fünf Tracks, die sie mit Hilfe ihrer Mutter Françoise Cactus und deren Lover Brezel Göring (auch bekannt als Stereo Total) aufgenommen hat, finden sich in Form einer 3“-CD im hinteren Einband des Buches. Die Einflüsse vom Mama und Stiefpapa lassen sich dann auch nicht abstreiten: die Lebensgeschichte selbst wird im loungigen Electro-Boogie ‚Ausser Kontrolle’ verarbeitet, bevor ‚Wollita go home’, ein Tribut an Gainsbourg/Birkin anschließt. Sogar ein trashiges Kraftwerk-Cover ‚Wollmensch-Maschine’, das mit Casio-Latin-Beats an die Darbietungen des Senor Coconut von vor einigen Jahren erinnert, ist enthalten. Einen versteckten Vorwurf an Brezel, Françoise und Wolfgang formuliert Wollita in ‚Humans get all the credit’ bevor das Alyzee-Cover ‚Je m’apelle Wollita’ als absolutes Highlight das recht kurze Debüt beendet. Kein Buch für den Literatur-Nobelpreis oder ein literarisches Quartett, aber sicherlich eines, das dem Leser das Grinsen auch bereits morgens um halb sieben in der Straßenbahn in’s Gesicht zaubert. Eine moderne Fabel, die erschreckend und zugleich amüsant die manipulative Macht der Medien und die wirklich plumpen Tricks aufzeigt, mit denen heutzutage Meinung gemacht wird . Ganz nach dem Motto ‚Hauptsache: ‚Wir sind Papst’’! (Siehe dazu auch den Ost-Blog-Link unten) Bald ist Weihnachten! Und da auch dieses Jahr wieder die Menschen beschenkt werden wollen, die bereits jeden Scheiß haben, stellt das vorliegende Buch eine weit bessere Wahl dar als die üblichen Socken oder ‚Mon Cheri’. PS.: Am 9.12. bestreitet Wollita mit Hilfe von Stereo Total und Wolfgang Müller ihren ersten Live-Auftritt im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz, 10997 Berlin. Mit 5€ ist man dabei, kauft man das Buch, so entfallen sogar die… Also nix wie hin! PS2: Trotz der eher unterhaltsamen Art des Reviews ist klarzustellen, dass das behandelte Thema sicherlich ein sehr schwieriges ist, das mit entsprechendem Feingefühl behandelt werden sollte! Und da ich die Ausstellung nicht persönlich besuchen konnte, enthalte ich mich einer wertenden Aussage über die Veranstaltung selbst. Dass allerdings die Boulevard-Presse – wie so oft – über das Ziel herausgeschossen ist, das scheint klar zu sein. Während der ‚heißen Phase’ der Ausstellung fanden konstruktive Treffen zwischen Künstlern und Kinderschutzorganisationen statt, bei denen man sich einigte KEINES der Kunstwerke zu entfernen und die Ausstellung fortzuführen. Darüber wurde natürlich nur sehr sparsam berichtet! Das vorliegende Buch konnte übrigens mit Unterstützung des Hauptstadtkulturfonds ermöglicht werden…