Oft ist es wie im Film "Und täglich grüßt das Murmeltier“ mit Bill Murray. Ein Debüt wird in der Presse als DIE neue Sensation gepriesen, beim Hören setzt aber die Ernüchterung ein. Auch bei "Bodyminding" ist auf den ersten Blick alles wie üblich. Ein Duo gibt Ihrer Band einen genretypischen Namen – hier Formalin, ein Begriff aus der Chemie. Für das Debüt kann eine große Plattenfirma gewonnen werden, was für viel Presse und Werbung sorgt. Und zur Sicherheit wird noch ein neuer Style aus der Taufe gehoben "Berlin City Industrial". Alles wie immer also? Definitiv nein, schon der Opener "Fallout" ist wunderbar. Klingt wie ein Dive-Song im Sonar-Remix. Knochentrockene Industrialbeats wie sie Asche, Converter oder Morgenstern (sic!) nicht schöner hätten programmieren können und dazu ein Gesang wie zu guten alten Zoth Ommog Zeiten. Hart, aber nicht sinnlos verzerrt. "Yuppiescum" bietet im Anschluss nicht nur einen feinen Titel, sondern ebenfalls eine gelungene Mischung aus aktuellen, aber vor allem hochwertigen Industrialsounds und Vocals die an Klinik erinnern. Mit Strophe und Refrain. Klingt einfach, haben aber bisher nur wenige (so gut) gemacht. Das schöne ist, dass die Wahlberliner Tominous und Gabor dies jetzt nicht über das gesamte Album bis zur Ermüdung durchziehen, sondern immer wieder variieren. „Beliefmaker“ und "Deliverance" klingen nach den guten alten Neunzigern, „Sezyr“ ist dann echter Industrial mit entsprechenden Sprachsamples, allerdings aufgewertet durch moderne Clubsounds. Wirklich gut ist auch „Resistance“, das mir als Hörer einen dieser besonderen Momente schenkt, wenn Sänger Tominous kurz auf deutsch von Freiheit und Gerechtigkeit singt. Es klappt nicht bei jedem Song, aber nur "Körperfabrik" oder "This Isn´t Love" fallen etwas ab. In Summe ist dies ein sehr spannendes Erstlingswerk. Das Duo erfindet das Rad nicht neu, aber sie kreieren aus bekannten Zutaten einen sehr frischen Hörgenuss mit einer angenehmen Portion Härte. "Bodyminding" ist für mich eines der besten Alben 2010 und vielleicht das beste Debüt seit langer Zeit. Sogar der Slogan "Berlin City Industrial" passt sehr gut. Die Musik ist so hart wie die Stadt Berlin im Winter. Und Formalin wollen einen Bogen spannen vom aktuellen Club-Industrial über den US-Industrial der Neunizger (Numb, Mentallo & The Fixer etc.) bis zu den Urväter SPK oder Throbbing Gristle. Irgendwie ein schöner Gedanke, dass auch heute noch Bands auf der Kunst und der Musik des gerade verstorbenen Peter Christopherson aufbauen.