Es ist ein allgemein anerkanntes Problem: Die Dark-Electro-Szene ist von einer unüberschaubaren Anzahl an Gruppen derart überflutet, dass das Genre ziemlich übersättigt scheint. Deswegen ist dem Autor dieser Zeilen auch immer etwas mulmig zumute, wenn er einmal mehr einen Act vorgesetzt bekommt, dessen musikalischer Kosmos seitens des Pressebeipackzettels als "innovativer" Harsh-, Aggro-oder Was-auch-immer-Electro angepriesen wird. Oftmals findet sich dann doch wieder nur uninpirierter 08/15-Bumm-Bumm mit ein bisschen Totschlag in den Texten.

Daniel Pad aus Bochum gehört mit seinem Projekt ES23 ebenfalls dieser großen Familie an. Markig verspricht er auf seiner Bandcamp-Seite "Dark Electro der besonderen Art". Das ist extrem weit aus dem Fenster gelehnt. Und zunächst bringt "Wait For Me", das Eröffnungsstück des mittlerweile sechsten Albums "Dancing With Clouds", noch nicht die große Erkenntnis. Die Nummer eignet sich aber als bombastischer Opener mit seinem schleppenden Beat, roboterhaft verfremdeten Gesang und funkelnden Synthiegirlanden. Bereits bei "Storm" tritt der erste Aha-Moment ein: Amtlicher Psy-Trance kann auch schwarz lackiert werden und funktionieren. Das Ergebnis macht neugierig auf die weiteren Stücke.

Doch zunächst lässt "Feed The Machines" einen etwas ratlos zurück: Hier dürfen sich Kritiker wieder bestätigt fühlen in der Annahme, dass das Genre künstlerisch ausgeblutet ist. Dieser Song jedenfalls bietet kaum Erwähnenswertes. Das Lied rauscht auch nach mehrmaligem Hören einfach an einem vorbei. Doch so viel sei schon gesagt (oder besser: geschrieben): Es ist der einzige uninspirierte Song auf "Dancing With Clouds".

Danach beginnt sich das Stilkarussell wie wild zu drehen, während nebenbei interessante Sounds zu Tage gefördert werden. "Brother Wind" baut sich mittels einer rhythmisch gesampelte Frauenstimme auf, ähnlich wie bei Laurie Andersons "O Superman", ehe ein knarziger 8-Bit-Sound mit knackigen Beats das Stück in höhere Sphären hievt. Zweifellos gehört dieser Song zu den Glanzlichtern des Albums, ebenso das Titelstück, welches durch seine ausgiebigen Arpeggios die "himmlische" Atmosphäre von "Brother Wind" aufgreift und weiterdenkt.

In diesen Moment entfernt sich Daniel Pad gekonnt von ausgetretenen Pfaden, ohne stilistisch auszufransen. Sein Künstlername ist daher kein Zufall: Pad bedeutet in der elektronischen Musik die durch langgezogene Akkorde entstehenden Klangteppiche, die der Bochumer sehr gut einzusetzen versteht. Um die Assoziationskette weiter zu spinnen, kann Daniels Projektname auch in Anlehnung an einen anderen Act aus dem Electro-Bereich verstanden werden: Assemblage 23. Zumindest könnte die Up-Tempo-Nummer "One Day" durchaus einem frühen Tom Shear zugerechnet werden.

Mit den Vorabveröffentlichungen "Now" und "Never" hat Daniel bereits im Vorfeld die Vielschichtigkeit seines aktuellen Werks angedeutet. "Now" zitiert dabei noch dezent Synth-Wave-Elemente (die sich im Closer mit dem plakativen Titel "Retrothunder" in voller Blüten entfalten sollten), während "Never" durch seine redundante Melodieführung ein Garant für volle Tanzflächen sein wird.

Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass "Dancing With Clouds" zwar keine musikalischen Neuerungen bereithält, aber von einer unbändigen Spielfreude zeugt, bei der alle möglichen Richtungen elektronischer Klangerzeugung auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Trotz der stilistischen Variabilität, hat ES23 ein in sich homogenes und geschlossenes Werk geschaffen, das sich wohltuend aus dem Wust an mittelmäßigen Veröffentlichungen hervorhebt. "Dark Electro der besonderen Art" eben.