Besser spät als nie! "Phantom Club" von Mittekill ist bereits letztes Jahr erschienen. Das hält uns aber nicht davon ab, das sechste Album dieses Projekts im Nachhinein zu besprechen. Warum? Weil gute Musik und herausragende Texte kein Verfallsdatum haben.

Wobei es sich lohnt, über "Phantom Club" hinaus den Werdegang von Mittekill und seinem Vordenker Friedrich Greiling zu überfliegen. Denn seit mehr als 15 Jahren macht dieser Mann...ja, was macht er denn eigentlich? Musik? Performance? Kunst? Irgendwie von allem ein bisschen. Aus den anarchischen Frühtagen hat es vor allem ein Song bis in die Gegenwart geschafft: "Wasser oder Vodka", eine minimale Synthienummer, die für die Corona-Jugend zum Inbegriff der Sehnsucht nach ausgelassener Feierei geworden ist. Über zehn Jahre nach seinem Erscheinen avancierte der Song noch mal zu einem kleinen Hit.

Zu diesem Zeitpunkt hat sich Greiling längst in theatralisch-performative Gefilde begeben und 2016 mit "Die montierte Gesellschaft" einen beißenden Kommentar zur Flüchtlingskrise abgegeben - dadaistisch-expressionistische Klangexperimente inklusive. Während der Lockdown-Phase veröffentlichte er mit "Leaving The Wor_d" ein reines Instrumentalalbum elektronischer Prägung ab. "Such dir zum Hören eine Beschäftigung: Perfekt zum Kochen, Editieren, Rauchen, Saufen und Spazieren", lautet die Empfehlung des Musikers auf der Bandcamp-Seite. Was man eben so machte, als das soziale Leben zum Erliegen gekommen ist.

Mittekill sprengt Grenzen und regt zum Nachdenken an. Dass das Projekt in einem Atemzug mit Knarf Rellöm genannt wird, liegt sicherlich am ähnlich feinen subversiven Witz der beiden Männer - und dass Greiling auch schon ein Album von ihm produziert hat.

Soweit die Vorgeschichte, die nicht unerheblich ist, um "Phantom Club" besser zu verstehen. Denn stilistische Stringenz ist auch bei "Phantom Club" Staatsfeind Nummer eins, was den aktuellen Longplayer zu einem kuriosen Panoptikum macht. Eröffnet "Pads" den musikalischen Reigen noch recht gediegen mit angenehmen Synthiewabereien, fährt "Die Leute aus dem Internet", musikalisch immer noch auf der entspannten Seite des Lebens, bereits den ersten textlichen Stachel aus. "Ich steh´an der Fleischtheke - man behandelt mich nicht nett. Die Lüge schreit: ´ich bin die Wahrheit!´ - doch es ist Tourette. Das sind die Leute aus dem Internet." Das digitale Medium kracht in die "reale" Welt und schürt Angst und Zwietracht.

Wenn "Superpatt" die Platte beendet, wird unter einem Electropunk, der das Gaspedal bis zum Boden durchdrückt, eine besondere Spezies Internetmensch verhandelt: Der verbalinkontinente Flacherdling, welcher Diskussionsforen mit seinen unappetitlichen Kommentaren zukleistert. Greilling schnoddert, rülpst, flucht und gröhlt wie ein Troll - ist er aber nicht, sondern ein Gegner dieser Verschwörungstheoretiker, die sich fleißig zu Wort melden. Eine schöne Finte.

Dazwischen brennt der "Phantom Club" ein atemberaubendes Klang- und Gedankenfeuerwerk ab. "Angst vor der Polizei" thematisiert mittels fiebriger Streichersektion und zerhackstückelten Vocoder-Stimme den Überwachungsstaat, während "Dohlengarten" coole Beats und sparsame Gitarren mixt und dabei eine surrealistische Elterngeschichte erzählt. "Abfuckprämie" zeigt Friedrich Greiling als vom Theater beeinflussten Musiker: Eine auf Retro gemachte Pianonummer, die an die Goldenen 1920er erinnert und zwischen Max Raabe und Bertolt Brechts "Dreigroschenoper" zu verorten ist, setzt den konsummierenden Gastronomienbesuchern ein kleines, nicht ganz ernst zu nehmendes Denkmal.

Daneben finden harshe Electro-Sounds einen Rückzugsort ("Civil Raw"), prangen kontemplativen Instrumentalminiaturen, deren Titellänge diametral gegenübersteht ("In A House On A Hill In A Forest With A Lake By The Fire After Sex") und werden flüchtig 80er-Schnulzen textlich, aber nicht musikalisch zitiert ("Words"). Mittekill vermittelt die Lust am Spielen - mit den Genres, den Ausdrucksformen, der Pop-Historie und mit den Erwartungen der Hörer. Vielleicht braucht es deswegen noch einen zweiten Durchlauf, um einen besseren Überblick zu haben. Denn auf dieser Platte ist wirklich viel los. Aber spätestens dann wird einem klar: "Phantom Club" ist ein wichtiges Stück Musik und ein gelungener Kommentar zur Abstrusität unserer Zeit.