In Russland gehen die Uhren anders – auch musikalisch. Das Ende letzten Jahres gegründete Moskauer Label Monopoly Records ist mit seinen Veröffentlichungen das beste Beispiel dafür. Bizarre Künstler, die sich jeglicher musikalischen Schublade verwehren und sich auf ihre Art und Weise aus der Masse herausheben, zeichnen deren Repertoire dem eigenen Statement zufolge aus. Dass die Macher des Labels dafür auf Hörer jenseits des Mainstreams mit einer gehörigen Portion Aufgeschlossenheit setzen versteht sich somit von selbst. Denn jemand anders würde das aktuelle Werk von DVAR wahrscheinlich nicht verstehen (wollen) geschweige denn sich anhören. Als "masters of gothic extravaganza" betitelt, präsentiert die Gruppe, deren Identität und Ursprung mystisch verborgen bleibt, mit „Rakhilim“ mittlerweile ihren dritten Longplayer. Seit den frühen 90ern sind DVAR bereits musikalisch tätig, einige ihrer Frühwerke sollen inzwischen unter Insidern als absolute Raritäten gehandelt werden. Noch nie hatte ich bisher von dieser Formation gehört, meine Neugier war nun also ebenso groß wie das Erstaunen, als die ersten Töne die Lautsprecher verliessen. Wie ist das zu beschreiben, was dieses Mysterium DVAR hier mit 20 (!) Liedern auf CD gebannt hat? Die Begleitmusik zu einem Abenteuer einer Gruppe lustiger und redseliger Zwerge und Kobolde, die durch einen düsteren, unheilvollen Wald huschen und sich dabei gruselige Geschichten in ihrer fremdartigen, völlig unverständlichen Sprache erzählen? Denen der Wind die Botschaften der Bäume zuträgt und sie durch das bizarre und verrückte Märchenland geleitet? Oder: Wie altmodische, folkloristisch-inspirierte Kinderlieder, die Bilder von buntem, quirligem Jahrmarktstreiben mit den entsprechenden Kirmes-Melodien und schwindelerregende Karusellfahrten vor dem eigenen Auge wieder auferstehen lassen? Die verstören und erheitern zugleich? Am ehesten könnte die auf "Rakhilim" verwendete Sprache noch Hebräisch oder zumindest dem Hebräischen verwandt sein. Glaubt man aber der kleinen, der CD beiliegenden Label-Notiz, handelt es sich eher um eine "alien language" oder wie ein hysterischer King Diamond "on an acid overdose". Vielleicht ist es auch nur eine obskure Version russischer Polka, zu der Kosaken freudig ihre Beine in die Luft schwingen. Vielleicht ist es einfach eine Mischung aus diesem zusammen oder gar nichts von alledem? "Rakhilim" strahlt eine naive Unbeschwertheit aus die ansteckend ist und verbreitet gleichzeitig ein stechendes Unbehagen, eine Ungewissheit darüber, was wohl als nächstes folgen mag. Das Fehlen jeglicher Information über die Künstler und den Hintergrund dieser Veröffentlichung tun ihr übriges dazu, dieser CD, deren einzige optische Symbolwirkung in der Abbildung von Bienen und einer historischen Darstellung des geflügelten Sensemannes zum Ausdruck kommt, eine starke Anziehungskraft zu verleihen. Die melodischen Kompositionen reichen von neo-klassisch, ruhig-verträumt bis zur bereits erwähnten flotten, ungezügelten Kirmesmusik – wenngleich sie allesamt mehr oder weniger nach dem selben Muster gestrickt sind und sich teilweise recht ähneln. Und - nicht zu vergessen, da sind noch die brabbelnden, quengelnden oder einfach nur scherzenden (und vielleicht auch einmal streitenden) kleinen, frechen Wesen – besonders erheiternd auf "Amaas Takhi" – deren Existenz uns wohl immer ein Rätsel bleiben mag. Dies ist Musik fürs Fantasieland, in dem bunte Fabelwesen mit träumenden Kindern noch Ringelreihe tanzen, Pan auf seiner Flöte spielt und eine zierliche Elfe das Piano streichelt ...