Soso, wieder mal ein neues Album von Depeche Mode. Eigentlich zu erwarten, wie es sich eben bei Intervallen von allen 4-5 Jahren eingependelt hatte. Wären da nicht ein paar Vorzeichen gewesen, die Anderes vermuten lassen hätten. Zum einen, dass trotz Corona, der globalen musikalischen Schaffensphase schlechthin, genau nichts an neuem gemeinsamen Output zu hören war, nur die Solo-Projekte von Gahan und Gore wurden weitergetrieben. Und dann war da der 26. Mai des letzten Jahres, an dem Gründungsmitglied Andy Fletcher plötzlich verstarb. Der Gedanke, dass das einem Ende von Depeche Mode gleichkommt, war alles andere als abwegig, da genau er das Bindeglied zwischen den beiden doch sehr unterschiedlichen Charakteren Dave und Martin über Jahrzehnte hin darstellte. Schockierend, wie einen das mitgenommen hat. Und dass man damit nicht allein war, sogar in die Tagesschau hat es die Meldung damals geschafft.

Und dann wird wie aus dem Nichts für Oktober eine Pressekonferenz einberufen. Das bedeutete mit sehr großer Wahrscheinlichkeit, dass es weitergeht. Wie weit, keine Ahnung, aber ein Album, mit dem verheissungsvollen Namen "Memento Mori" sollte für Frühling '23 angekündigt werden und auch eine Welttournee, die sie diesmal auch wieder nach Australien und Asien bringen soll. Und ein erster Soundschnipsel war auch schon zu hören!

Schön und gut, aber die Zeit zog sich doch ziemlich, bis dann endlich die erste Single kam. Wie so oft zuvor leakte ein Remix (der der Technoformation Camelphat) und man konnte Teile des Refrains von "Ghosts Again" hören. Bei mir tat sich absolute Begeisterung breit, was für eine Nummer! Und es war wirklich schön, Dave wieder singen zu hören. Die Single kam dann mit ein wenig Hin- und Her und einem verkorksten Countdown auf der DM Webseite endlich am 9.2. heraus, digital, wie heutzutage üblich, inklusive einem schrägen Video. "Ghosts again" ist eine gelungene erste Single, ein wunderschöner Popsong, sehr eingängig, melancholisch, melodiös, mit knackigem Synth-Break vorm letzten Drittel, und ideal zum Mitsingen - und für immer die Nummer, die mich an Fletch erinnern wird.

Aber welche Erwartungen schürt so ein Song? Vom Sound her ist er wirklich gelungen, James Ford, der schon beim letzten Album dabei war, hat sich Marta Salogni an Bord geholt, die für ihre Tape-Loops bekannt ist (Was zum Henker ist ein Tape-Loop?), haben schon mal gut abgeliefert. Aber wer ist Richard Butler, der auch in den Credits steht? Es stellte sich heraus, dass Herr Gore mit seinem Kumpel, dem Richard, einige Songs für das Album geschrieben hatte, darunter eben auch die Single. Richard ist kein Unbekannter, sondern Teil der Psychedelic Furs. Aber auch Dave hat etwas zum Album beigesteuert, zusammen mit Christian Eigner und Peter Gordeno, den Live-Musikern der Band. Könnte also ein gutes Paket werden. Die Promo zum Album kam langsam in Gang, eine Tracklist sickerte durch, mit Titeln wie "Don't say you love me" , "People are good" , "Never let me go" , oder "Catherine's monkey". Ein Schelm, wer Böses denkt, aber wirklich glaubwürdig war das nicht. Und die ersten Promogigs in diversen TV-Shows und unter anderem auch ein "secret Gig" in München wurden angekündigt, wo die ersten Nummern vom Album live gespielt wurden und so dann auch ihren Weg ins Netz gefunden haben. Da live Versionen nicht unbedingt auf die Studioversion schließen lassen, hab ich versucht, die Erwartungshaltung nicht kippen zu lassen.

Das Album kam dann am 24.3. zum gutsortieren Online-Streaming-Anbieter und endlich war der Bann gebrochen. Ein initiales vorsichtiges Abtasten brachte die ersten Erkenntnisse. Zum einen, dass die Tracklist wirklich stimmte - Humor haben sie, das muss man ihnen lassen - zum anderen, dass das Album deutlich elektronischer ist, als befürchtet. Ich hab mir extra nochmal das Vorgängeralbum "Spirit" angehört, das ich damals zwar nicht schlecht fand, das aber nie wirklich hängen blieb. Und mir war auch gleich bewusst, warum. Es ist einfach zu "rockig", zu plump, zu wenig speziell, und nur zwei drei Tracks, die nachhaltig herausstechen.

"Memento Mori" ist hier deutlich anders, allein der Titel schon ist sehr tiefgründig (der schon vor Andy Fletchers Ableben feststand - was für eine Dramaturgie). Das Intro, "My Cosmos is mine", das auch schon vorab veröffentlicht wurde, zeigt deutlich auf, wohin die Reise geht. Elektronisches Gewabere, Dave's Vocals, in kalter aber fesselnder Monotonie weisen den Weg.

Dann geht es mit "Wagging tongue" weiter, das schon von den Promo-Gigs bekannt war. Satter Synth-Sound, der die Präzision der Produktion langsam aber sicher in die Mitte rückt. Musikalisch tu ich mir mit der Nummer schwer, irgendwie kommt sie nicht in die Gänge, es sterben mir zu viele Engel und alles wirkt sehr angestrengt. Das merkt man besonders, wenn "Ghosts again" als nächstes nachfolgt. Sofort macht sich Entspanntheit breit, man fühlt sich gleich wohl und kann dank vorangehenden gefühlten 500x Hören präzise mitgröhlen. "Ghosts again" leitet quasi den Song-Block der vier Nummern ein, an denen Richard Butler beteiligt war, "Don't say you love me" hat mit "It's no good" wenig zu tun, ist aber trotzdem eine starke Balade und sicher eines der Highlights des Albums. Dave lehnt sich gesangtechnisch gut aus dem Fenster und gibt alles. Die Bassline drückt noch dazu ordentlich an, die Gitarren sind schön im Hintergrund, ein paar Streicher noch dazu, das ist für mich Depeche Mode 2023. "My favourite stranger", auch bekannt von den Promo-Gigs, erinnert mich schwer an Lieder früherer Alben der letzten Jahre, wenn Martin wieder die Leadgitarre gequält hat. Live deutlich rockiger, am Album aber dennoch sehr elektronisch und sehr treibend.

Die einzige Nummer am Album mit Martin solo an den Vocals ist "Soul with me" und erinnert mich gleich sehr an "Home" vom 97er Album "Ultra". Und begeistert mich dementsprechend wenig, wie Home anno dazumal auch. Irgendwie gefällt mir aber die Stimmung, wie dieser Track so sehr an alte Zeiten erinnert und doch vom Soundspektrum her die Gegenwart repräsentiert.

Die vierte Nummer, bei der Martin Gore Unterstützung von Richard Butler hatte, ist "Caroline’s monkey" und mit Abstand der poppigste Track auf dem Album. Mein erster Eindruck war: 80s Pop á la Pet Shop Boys meets today's Depeche Mode. Unfassbar prickelnd und verspielt, herrlich. Hätte ich so Depeche Mode nicht zugetraut.

Mit "Before we drown" geht es dann wieder düsterer ans Werk, hier sind die erwähnten Herren Eigner und Gordeno mitverantwortlich, die zusammen mit Dave Gahan den Song beigesteuert haben. Starke Nummer, könnte ebenso aus der Zeit der Band in den 90ern stammen, die viele so gern zurück hätten. Man liest sehr viel über das neue Album, auch dass so mancher Track nach Kraftwerk klinge. Bei "People are good" würde ich da zum Teil zustimmen, wobei das natürlich sehr weithergeholt ist. Aber Anleihen bei früheren Äras der Band sind auch hier zu finden. Keine großartige Melodie, aber Klangstrukturen, die Spass machen und lauter gehört wollen werden.

Die nächste Nummer ist mein absolutes Highlight der Platte: "Always you" aus Gores Feder ist die Nummer, die mir noch für lange Zeit abseits der Singles - ich wage mal zu behaupten, dass die Nummer keine wird - im Ohr bleiben wird. Eine mitreißende tragisch anmutende und treibende Ballade mit Dave in Höchstform und Sounds vom Feinsten.

Einmal bäumt sich das Album noch auf und haut einen schnelleren Song raus, "Never let me go" knattert gut dahin, hat aber sonst wenige Anleihen vom vermeintlichen Namensvetter aus den 80ern. Memento Mori schießt mit einer Nummer von Dave (co-writing von James Ford und Marta Salogni). "Speak to me" ist die darkste Nummer am Album, Emotionen beherrschen die Stimmung, und zu gleich wirkt die Nummer versöhnend und steigert sich langsam zum Ende hin. Sie ist mehr als ein würdiger Abschluss des 15. Studioalbums von Depeche Mode. Der Band, die uns alle schon lange begleitet.

Abschließend möchte ich sagen, dass die Platte meine Erwartungen bei weitem übertrifft. Für eine Zeit, in der wir (zum Großteil) keine 25 mehr sind, die Welt sich mittlerweile anders dreht, als gedacht, können wir froh sein, dass es sie immer noch gibt. Und dann mit 60+ noch so ein Ding raushauen. Man merkt ihnen an, dass sie enger zusammengewachsen sind und dass sie mit dem Album etwas wirklich Besonderes abliefern wollten. Klanglich meiner Meinung nach die beste Depeche Mode Platte bisher, unbedingt mal mit guten Kopfhörern ganz durchhören, man entdeckt immer wieder neue Sounds, die einem das Herz aufgehen lassen. Das Produktionslevel ist absolut bahnbrechend. Ich würde 4.5 Sterne geben, ganz großes Kino.

"Memento Mori" ist auf CD, Deluxe CD, und auf Vinyl in verschiedenen farbigen Editionen erschienen.