„Ianus“, doppelköpfige Gottheit der Römer, ist Namensgeber des dritten Albums von Decence. Nach dem das zweite Werk „Constellation Gemini“ einige gute Kritiken einfahren konnte und mit einer DAC Plazierung in den Top20 zurecht auch einer größeren Masse bekannt wurde zeigt Oliver Mietzner nun sein Ianusgesicht. Denn das Mastermind hinter dem Bonner Solo-Projekt Decence versucht nun auf einer Spielzeit von über einer Stunde die beiden Seiten seines Projektes zu trennen und in zwei Teilen vorzustellen. Es ist nicht überraschend, daß die dunklere, cluborientiertere schwarze Seite den Anfang macht, denn mit Honig fängt man Fliegen und Clubfutter ist ja wie Honig für Grufties. Denoch startet der Reigen zunächst mit einem klassisch angehauchten Intro. Das ist einerseits zwar sehr nett, zeigt, daß Mietzner definitiv eine klassische Ausbildung hat und gehört bei einigen Projekten (Hocico, Punto Omega,..) auch zum guten Ton, will aber so gar nicht zum folgenden „The storm“ passen. Und was bringt da ein schönes Intro, wenn es eben doch nicht auf die Musik des Albums einstimmt? „The storm“ ist dann auch gleich mein erster Anspieltip: hier klingen Decence unglaublich gut und vor allem eigenständig – die Instrumentierung ist stimmig, der Bass wummert und die Vocals sind zum Teil verzehrt und manchmal (vor allem im mitreißenden Refrain) clean. Das besondere ist der Aufbau des Liedes ansich, denn die Übergänge zwischen den einzelnen Teilen arbeiten etwas gegen die Elektro-Hörgewohnheiten und fallen damit sehr positiv auf. Klasse Lied. Die folgenden beiden Stücke können dieses Niveau leider nicht halten, klingen zu sehr wie härtere Diary of Dreams und ähnlich wie bei ganz vielen Diary...-Tracks habe ich hier das Gefühl, daß die Lieder an mir vorbeigehen ohne hängenzubleiben. Das folgende „I live for you“ ist dann wieder ein Traum und mein Favorit auf „Ianus“ - eine wunderschöne, mitreißende Melodie, voller Gefühle. Der Text ist eine kitschige Liebeserklärung, alles passt zusammen, ist stimmig. Hier klingen Decence nur nach Decence und die markante Stimme von Oliver Mietzner, die leider sonst viel zu oft verzerrt oder nur sprechend/flüsternd ertönt, ist hier nur leicht bearbeitet zu hören und reißt mich als Hörer einfach mit. Es folgen noch drei weitere Tracks auf der schwarzen Seite, die durchaus gefällig aber eben wieder etwas austauschbar sind. Die andere, die weiße Seite von Ianus folgt. Das (wieder) klassisch angehauchte Intro ist wesentlich zerbrechlicher als die Einleitung zur schwarzen Seite und ich bin gespannt, wie sehr dieses Album sich nun wandeln wird. Ist das erste Stück mit einem etwas monotonen Dauerbass zwar etwas ruhiger aber noch nicht wirklich sanft, so erklingt mit „Love you“ ein Schmachtefetzen, dessen Refrainmelodie auch gut von der Münchner Freiheit stammen könnte. Was wie eine Kriegserklärung klingt ist aber durchaus nett gemeint, denn mit diesen Song schaffen Decence wieder, die so wichtige Eigenständigkeit ins Spiel zu bringen. Schön aufgebaut, fast schon eher Wave als Elektro. Anspieltip Nummer drei (auch wenn es nicht an „The Storm“ und gar „I live for you“ herankommt). Die restliche Spielzeit ist dann durchaus hörenswert, vor allem „The last waltz“ kann nocheinmal herausstechen durch seinen besonderen Aufbau. „Understanding“ und „Hold me“ sind auch zwei sehr schöne Stücke, erinnern aber zu sehr an ruhige Diary of dreams durch die monoton durchlaufenden Bässe und die Melodieführung. Ich bin hin- und hergerissen, „Ianus“ kann mich mit seinen zwei Gesichtern begeistern und enttäuschen. Auf der Habenseite stehen ein paar sehr schöne Lieder (und besonders zwei hervorragende), eine gute Produktion und ein charismatischer Sänger mit einem wunderschönen Timbre in der Stimme (Die Ähnlichkeiten zu Herrn Harris von VNV Nation, die öfters angesprochen werden halte ich für unbegründet, denn dafür "schwingt" Mietzners Stimme viel zu sehr und beide stehen sich meiner Meinung nach in nichts nach). Andererseits sind da aber auch einige langweilige Stücke, die Tatsache, daß Decence zu selten wirklich eigenständig klingen und Mietzner viel zu selten wirklich singt. Die letzten beiden Kritikpunkte sind besonders deswegen traurig, weil man ja hören kann, daß Decence etwas Besonderes sein können. Der interessante Aufbau von „The storm“ ist ein richtiger Hinhörer. Und bei Songs wie „Deceit! Leave in silence“ kann man auch immer wieder hören, daß da einiges an Potenzial dahintersteckt. Was dann aber stört ist eine Kälte und Lieblosigkeit in der Melodieführung, die so gar nicht zu passen scheint. Und die klare Gesangsstimme sollte noch öfter zum Einsatz kommen, denn stolz kann derjenige sein, der so gut und markant singen kann! Von den beiden Seiten des „Ianus“ hätte ich mir auch mehr Unterschiede erwartet. Denn zwar merkt man, daß die zweite Hälfte der Spielzeit insgesamt ruhiger ist, aber das emotionalste Lied „I live for you“ befindet sich auf der schwarzen Seite und auf der weißen Seite sind die wirklich ruhigen Stücke auch eher in der Minderheit. Das ist aber ein nichtiger Kritikpunkt. Also bleibt alles in allem ein ordentliches, überdurchschnittliches Album mit 2 mitreißenden Nummern. Das Album kann nur via Download für 9,99€ erworben werden (Bei den Links unter Shop.Xenobiotic), ist dann aber in guter Qualität und mit schönem Artwork auf dem Rechner. Fans von Diary of Dreams und ähnlichen ruhigeren Elektroprojekten sollten auf jeden Fall einmal bei der Myspace-Präsenz (von der aus man auch auf die Homepage gelangt) reinhören, denn das Janusgesicht könnte sich von seiner schönsten Seite zeigen!