Ach ja, wisst ihr noch? Früher? Also nicht nur vor Corona, als wir noch feiern konnten. Oder früherfrüher, als es auch noch deutlich mehr schwarze Partys gab mit viel Techno und Neonlicht. Sondern früherfrüherfrüher, als es sogar noch Partys gab, auf denen Vogelnester existierten, Pannesamt mit Stolz getragen wurde und Patchouli die Sinne bis zum nächsten Tag benebelte? Als Neue Deutsche Todeskunst und Gothrock tatsächlich gespielt wurden und Knicklichter und Hellectro noch in wohldosierten Dosen verabreicht wurden? Nein, ich sage nicht, dass früher alles besser, die DocMartens langlebiger und der Flokati gestriegelter war. Aber vorliegende EP klingt so dermaßen altmodisch, dass es sich auch um ein wiedergefundenes Bootleg aus den frühen 90ern handeln könnte. Ist das gut?

Sich den Künstlernamen Dark zu geben und die erste offizielle Veröffentlichung ‚Nightmare‘ zu nennen zeugt entweder von wirklich großem Selbstbewusstsein oder gänzlich ausgegangenen Ideen. Und es sorgt dafür, dass die Algorithmengötter dich mies behandeln werden, wenn du nicht viel für die eigene Etablierung als Marke tust. Doch vorliegendes erstes Tape vom Label Young & Cold, das auf einhundert Einheiten limitiert und bereits vor dem Veröffentlichungsdatum ausverkauft war, sieht mit dem Bild des kanadischen Düstermodels Madam Absinth nicht nur schick aus, sondern ist es ist auch wirklich gut. Also für eine EP – die Schwächen, die ich da heraushöre, benenne ich später. Zunächst: Der Hamburger Musiker, der sich nicht nur namentlich im Dunkeln verortet, geizt nicht mit einer druckvollen Wand künstlicher Welten. Drei bis vier übereinander gelagerte Melodiespuren, pulsierende Basslinien und Rhythmik wie zu Beginn der 90er, die sich eher an einem Sound „natürlicher“ Schlagzeuge orientiert (Ganz ähnlich wie frühe Pitchies, Calva Y Nada, Puppies). Pumpende Bässe sucht man vergebens, genau wie eine kristallklare Produktion. Alles ist verhallt, röhrt irgendwie und klingt nach Live-Auftritten in viel zu kleinen Clubs mit einer viel zu produktiven Nebelmaschine. Ich habe beim Sound Cauda Pavonis oder frühe Sanguis et Cinis vor Ohren, denn Dark steht mit diesen ersten Klangerzeugnissen für einen düster-tanzbaren Retro-Dark-Wave und alle 5 Songs wollen betanzt werden. Die Vocals sind verhallt geraunte Unverständlichkeiten, passen wie Arsch auf Eimer, können aber eben nur bedingt als Besonderheit benannt werden.

Und da kommen wir zu den Punkten, die ich kritisieren, oder vielleicht eher anmerken möchte: ‚Nightmare‘ sind fünf verdammt starke Tanzknaller, von denen mir der Titelsong und „Gothic love“ am meisten gefallen und „Avoid everyone“ ein klein wenig abfällt. Und nicht missverstehen, meine Kritik ist auf hohem Niveau, aber ich sehe bei Dark bisher 5 sehr ähnliche Songs, gleichbleibende Geschwindigkeit, ähnlicher Sound und ähnliche EBM-artige Struktur ohne wirkliche Refrains. Für ein Album, Live-Konzerte und Langlebigkeit braucht es zum einen Stücke, die anders funktionieren, ruhige Nummern, oder andere Sounds, eventuell mitreißende Refrains (muss nicht sein) und mehr Wiedererkennungswert in den Melodien. Zum anderen könnte ich mir vorstellen, dass auch die Vocals zumindest für mich auf Dauer verhindern werden, eine Verbindung zu dem Projekt aufbauen zu können. Es könnten auch Samples sein, oder eine weitere Keyboardspur, die da vor sind hin brummelt. Auf Dauer würden mir da Ecken und Kanten fehlen. Wie gesagt, auf Dauer.

Für diese erste EP aber liefert der Hamburger bockstarkes Futter, das mir wieder klar macht, für welchen Sound düster-tanzbaren Darkwaves/Elektros mein Herz doch eigentlich schlägt. Vor allem bei den ersten vier Songs würde ich garantiert auf die Tanzfläche hüpfen, selbst wenn ich den Track vorher nie gehört hätte. Denn Dark hat einen so geilen, wabernden und dumpfen Retrosound geschaffen, dass auch die Veröffentlichung als Tape Sinn ergibt. Selbst wenn man nicht an das Tape gekommen ist, benenne ich den Download auf der Bandcamp Page als Pflichtkauf für … ach, eigentlich für jeden. Sehr geiles Teil.

 

Dark

Nightmare

 

24.12.2020

Young & Cold (Tape Version, ausverkauft)

 

https://dark-darkwave.bandcamp.com/

 

01. Nightmare

02. Forever suffer

03. In the dark you die

04. Gothic love

05. Avoid everyone