Die Chrysantheme ist eine edle Blume. In stilisierter Form fungiert sie sogar als Nationales und Kaiserliches Siegel Japans. Aber auch hierzulande betören uns die unterschiedlichen Sorten dieser Pflanze mit ihrem Aussehen. Doch ist sie auch eng verbunden mit traurigen Ereignissen, wie man es auf dem Cover des neuesten Albums "Chrysanthemum" der ungarischen Dunkel-Popper Black Nail Cabaret sehen kann. Die weiße Variante der Chrysantheme dient als Blume der Trauer und ist auf Beerdigungen sehr oft anzutreffen. Der Grund: Chrysanthemen sind langlebig und robust.

In diesem Spannungsverhältnis zwischen Tod und Leben bewegen sich Black Nail Cabaret, die bereits in der Vergangenheit mit einigen außergewöhnlichen Alben auf sich aufmerksam gemacht haben. Zuletzt mit den "Woodland Memories", bei dem sie ihre Elektronik weggepackt und einige ihrer bis dato veröffentlichten Songs in ein akustisches Gewand gekleidet haben, welches die Nähe zu diversen Mörder-Balladen aufgesucht hat. Dieser Exkurs belegte zweierlei: Sängerin Emese Avai-Illes kann mit ihrem voluminösen Organ jeden Song gleich welchen Arrangements tragen, und Krisztian Arvai ist ein Vollblutmusiker, dessen Leidenschaft für außergewöhnliche Klänge in jeder Note hörbar ist.

Auch bei "Chrysanthemum" zeigt sich das Duo vielschichtig und in ihren klanglichen Ideen einmal mehr sehr offenherzig. Den Opener "My Home Is Empty" kann man bereits zu so einem frühen Zeitpunkt als eine der schönsten Elektroniknummern des Jahres bezeichnen. Trotz oder gerade wegen seiner zurückhaltenden Rhythmussektion, die den schräg-scheppernden Synthielinien (sie erinnern an Depeche Modes letzte gute Single "Wrong") genügend Platz lassen, um dominieren zu können. In diesem Stil darf es ruhig weitergehen.

Tut es aber nicht! Zwar sind die darauffolgenden Songs "Autogenic" und "Totem And Taboo" weit davon entfernt, ärgerliche Ausschussware zu sein. Jedoch lässt sich das Duo zu oft dazu hinreißen, diesen Nummern einen Vierviertelbeat unterzuschieben, der den Liedern die Spannung wegnimmt. Black Nail Cabaret besitzt nämlich das große Talent - auch durch Ermeses stimmliche Fähigkeiten - getragene Balladen so ungemein dynamisch zu präsentieren, dass sie sogar ein ganzes Album mit solchen Langsambrennern füllen könnten, ohne auch nur einen Moment der Langeweile aufkommen zu lassen.

"Never Enough" belegt dies und vor allem die grandiose Nummer "1mg", die sich im Refrain in höhere Sphären begibt. Dieses Stück kommt dem Sensationsfaktor von "My Home Is Empty" am nächsten. Gegen Ende sind diese Momente dann schon wieder etwas häufiger anzutreffen und machen "Godspeed" und "Roadtrip" zu den besseren Songs, wenn sie einer Nummer wie "Teach Me How To Techno" gegenübergestellt werden. Bei aller Augenzwinkerei mag der stampfende Beat und rudimentäre Charme nicht ganz in das Konzept passen.

Oftmals kranken Alben daran, dass sie ihr ganzes Pulver bereits in der ersten Hälfte verschießen und am Ende nur noch halbgare Lückenfüller übrig haben. "Chrysanthemum" hat das Problem umgekehrt. Die erste Hälfte des Albums kann nur bedingt begeistern, weil die Dance-Beats nichts für Ermeses Stimme und den dunkel-melancholischen Habitus der Songs tun. Später dann  zeigt sich aber, welch emotionale Tiefen das Zweiergespann erreichen kann, wenn sie sich der straighten Vierviertel-Bassdrum entledigen und in vertrackte, rätselhafte Rhythmen investieren.

In Summe bleibt "Chrysanthemum" aber ein sehr hörenswertes Album und Black Nail Cabaret weiterhin Ungarns güldenes Aushängeschild für elektronische Popmusik. Darauf einen Strauß Chrysanthemen.