Lange nichts mehr gehört von Severe Illusion. Das letzte Album liegt tatsächlich schon wieder zehn Jahre her. Damals, also 2012, war die Welt noch eine ganz andere, in der Donald Trump als ein verrückter Ami mit schlecht sitzender Friese angesehen wurde, Vladimir Putin ein Politiker war, von dem sich die Weltgemeinschaft eine produktive Zusammenarbeit auf vielen Ebenen erhoffte und England sich wie ein spleeniger Verwandter in der EU-Familie benahm.

In der viel beschworenen Zeitenwende haben sich sämtliche Vorzeichen geändert: Trump hat in seiner ersten Amtszeit als Präsident viel diplomatisches Porzellan zerschlagen und ist drauf und dran, erneut für das höchste Amt zu kandidieren. Russland führt seit zwei Jahren Krieg, und das praktisch vor unserer Haustür, während England den "Brexit" vollzogen hat und nicht mehr Teil der Europäischen Union ist.

Dieser Umstand dürfte die schwedischen Harsh-Elektroniker Severe Illusion angetrieben haben, ihr aktuelles Werk "Totalitarianism For A New Generation" als zynischen Abgesang auf die Fehlbarkeiten der westlichen Gesellschaft zu veröffentlichen. Im Titel ist das Hauptanliegen der beiden Musiker Fredri Djurfeldt und Ulf Lundblad bereits angedeutet: Severe Illusion erkennen, wie demokratische Systeme durch totalitäres Denken von Innen ausgehöhlt wird. Die Band nutzt neben sarkastischen Texten, in denen es von apokalyptischen Visionen nur so wimmelt, einen erstaunlich anachronistischen Harsh-Electro-Sound, der sich an belgische Vorbilder wie beispielsweise die frühen Klinik anlehnt.

Konkret bedeutet das eine kompromisslose Hinwendung zu zersetzenden Synthieklängen, extrem verzerrten Vocals und überwiegend moderat gehaltene BpM-Zahlen. Severe Illusion sind nicht die knalligen Aggro-Elektroniker, sondern belegen, dass sich ein bedrohliches Moment auch mittels umherschleichenden Sequenzen aufbauen kann. "Died Suddenly" unterstreicht die Liebe der Schweden zu Liedern, die von hinten durch die Brust ins Auge stechen. Die Bedrohung entsteht hier bewusst durch die minimal gehaltenen Songs.

In seiner Radikalität ist das Werk nichts für Freunde gepflegter Unterhaltung. "Totalitarianism For A New Generation" ist mittels einem überschaubaren Instrumentarium aufgenommen worden. Zumindest lassen wiederkehrende Sounds und Effekte, die sich in den neun Stücken breit machen, den Rückschluss zu, dass die Band sich anscheinend auf ein Minimum an Klangerzeugern beschränkt hat. Das macht das Album für ungeübte Hörer sicherlich nicht ganz einfach.

Tatsächlich wünscht man sich jedoch, Severe Illusion hätte hie und da die Geschwindigkeit etwas angezogen und einen kleinen Tanzflurfüller kreiert. Doch die Band lässt sich nicht aus der Reserve locken und widersteht nicht den üblichen Mechanismen des Musikmarktes. "The Wrong Monster" hätte zwar ordentliches Clubfutter-Potenzial gehabt, doch anstatt pumpender Betats pocht es mehr oder weniger teilnahmslos aus den Boxen.

Schlussendlich fressen die sägenden Basslinien bei "The Choice Of A New Generation" sämtliche klassische Songstrukturen auf. Es dominieren fiepende Geräusche, die mit verschiedenen Samples gekreuzt werden. Zum Finale hören wir eine deutschsprachiges Sample, das kühl analysierend Diktaturen beleuchtet und ihre manipulativen Machenschaften erklärt. Severe Illusion haben nach langer Funkstille ein Album herausgebracht, das Klänge aus der Vergangenheit zitiert, aber textlich die dystopische Zukunft, in die wir uns momentan bewegen, bereits herbei beschwört.