Eigentlich verdient der mir vorliegende Digipack ja einen Designpreis für seine kultige Schlichtheit. Das darf übrigens auch für sämtliche andere releases des Elektronik-Labels „fliesskoma“ aus dem niederbayerischen Landshut gelten. „fliesskoma“, dahinter verbergen sich keine geringeren als :w:‘s Rudi Ratzinger und Karl Kimmerl. Letztgenannter ist es auch, der vor zwei Jahren das ungewöhnliche Projekt „autoform“ gründete. Mit „dualsystem“ legt Kimmerl, der das fliesskoma-office in Stuttgart führt, nun sein Debüt vor. „Dualsystem“ - bitte nicht zu verwechseln mit dem Dualen Abfallsystem hierzulande - ist abgefahren, und zwar total. Vom ersten Track bis zum letzten. 19 sind es insgesamt. Die Liste liest sich wie eine Mischung aus Theorie für Elektrotechniker und chillout-/ambient-Titeln. Vom „schwabenrock“ mal abgesehen. Es bleept, knarzt, klickt, wabert, hallt an allen Ecken und Enden. Analoge und digitale Klangstrukturen geben sich die Klinke in die Hand. Breaks, kalte Voice- und Soundsamples mischen sich darunter, durchbrechen breit angelegte Soundwälle, scheinen eine Struktur aufbauen zu wollen um sie im nächsten Moment wieder zu zerstören. Tracks wie „ueberspannung“, „hume“ und „terrifying mainstream“ lassen mich für einen Moment vergessen, daß ich ein Mensch bin. Denn so muss es sich im Innersten, im Herzen einer Maschine anfühlen, die stetig monoton - gelegentlich unterbrochen von Störungen - ruhig vor sich hin atmet. "dualsystem“ besticht durch die sprichwörtliche Dualität einer kühlen, aber auch weichen Atmosphäre, losgelöst von eingefahrenen und festen Rhythmusstrukturen, an die sich so manche Vertreter des Elektro-Genres verbissen klammern. „dualsystem“ experimentiert mit allen Spielarten der elektronischen Sound-Kreation, macht das Unmögliche möglich, ohne sich musikalischen Regelmäßigkeiten auszusetzen oder sich gar im Chaos maschineller Klangwelten zu verlieren. Das Album besticht vor allem durch seine Unvorhersagbarkeit, von der beständigen Flüchtigkeit seiner Elemente. Es ist nicht ganz einfach, Zugang zu diesem Album zu finden. Meines Erachtens gibt es nur zwei Möglichkeiten, „dualsystem“ zu konsumieren. Entweder, man lässt sich auf dieses Experiment ein und „fühlt“ „dualsystem“ mit jeder Faser von der ersten bis zur letzten Sekunde oder aber es bleibt bei einer oberflächlichen Wahrnehmung der Soundcollagen, die nur schwer einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen vermögen. Liebhabern intelligenter, gepflegter Ambient-, Chill-out- und Loungemusik, die auf den bitteren Beigeschmack von Ibiza- und Südamerika-Feeling gut verzichten können, sei diese CD aber auf jeden Fall empfohlen. Und eigentlich auch Minimal-Elektronikern, Industrial- und Noise-Freaks, die es sich gerne einmal leisten, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen.