Attrition - The Black Maria

Attrition - The Black Maria

Reden wir von Darkwave, muss man auch Attrition erwähnen. Die Band aus Coventry, bestehend vor allem aus Martin Bowes und stetig wechselnden Musikern, hat das Genre, welches dem schwammigen Begriff Postpunk eine konturreichere Definition verpasst hat, maßgeblich mitgeprägt. Jedoch waren sie nie an vorderster Front und die großartigen Kassenmagneten. Das liegt vor allem an dem zweifelsfrei hohen Anspruch, den Bowes an sein Projekt gelegt hat.

Angelehnt an den avantgardistischen Grundgedanken, wie ihn Throbbing Gristle seiner Zeit vorgelebt haben, suchte auch Attrition die Schnittstelle zwischen theatraler, künstlerischer Attitüde und einem dem Mainstream zugewandten Musikverständnis. Songs aus der Feder Bowes' verlieren sich gerne in mystische Momente, die durch klassische Elemente einen hochkulturellen Anstrich verliehen bekommen haben. Ein Song wie "Into The Waves" von ihrem vielleicht besten Album "In The Realm Of The Hungry Ghost" (1986) markiert ganz  deutlich, dass Attrition in der Schwarzen Szene beheimatet ist, sich aber nicht anbiedern möchte.

Same same nun bei "The Black Maria", das eingefleischte Fans gleich auf mehreren Ebenen entzücken wird. Zum einen hat Bowes das alte Line-Up in Person von Original-Sängerin Julia reaktiviert, zum anderen wirken andere Chanteusen, unter anderem Emèse Árvai-Illes von Black Nail Cabaret mit. Musikalische Unterstützung holt sich Martin Bowes ebenfalls von Jungspunden sowie Alteingesessenen (eine kleine Überraschung bildet dabei Annie Hogan, die man noch von Marc Almonds kurzlebigem Seiteprojekt Marc And The Mambas her kennen könnte).

Bowes umgibt sich mit Kollegen, die wie er einen Hang zur Experimentierlust haben und sich bereit zeigen, den unkonventionellen Momenten eines Albums Raum zu geben. "The Black Maria" pendelt dadurch von durchaus clubtauglichen, nah am Industrial operierenden Kloppern bis hin zu düster-surrealistischen Klangcollagen. Trotz der breiten stilistischen Varianz funktioniert die neue Platte, weil sie von Anfang an klar macht, dass sie nicht nur plumpes Hörvergnügen darstellt, sondern in seiner Vielschichtigkeit erschlossen werden will. "Be Silent" mahnt der Opener "The Promise". Es wirkt wie ein verbindlicher Hinweis an den Hörer, sich nun ganz den folgenden sieben Stücken zu widmen.

Zunächst macht Attrition bei "The Great Derailer" bereits die größten Zugeständnisse an sein Publikum, indem er einen für Bandverhältnisse sehr eingängigen Song kredenzt. Auch bei "The Switch" und dem fein gewirkten "The Alibi" (mit einer schaurig-schönen Spieluhr-Version von Wagners berühmten "Brautlied" aus Lohengrin) ist der Ohrschmeichelfaktor noch recht hoch. Doch bereits bei diesen Stücken bröckelt die Fassade; der Avantgardist Bowes bringt sich erstmal bei "The Pillar II" in Position. Das Stück eröffnet ein einfahrender Zug, ehe eine monotone Sinusbasslinie wellenartig von einem Geigenspiel und sirenenhaften Gesängen umspült wird. Auch "The Zero Hour" entwickelt durch den verzerrten Sprechgesang, dezenten Lärmeinlagen, steten Basston und teilweise schräg angeschlagenen Streichern einen extrem performativen Charakter. Besonders dieser Song könnte eine perfekte Untermalung zu einem modernen Tanztheater sein.

"Be silent" - ruhig sein. Mal nicht seine Kommentare abgeben, sondern einfach nur zuhören, was uns Attrition hier zu sagen haben. Mehr noch als die wieder einmal tiefgründigen Texte, ist es vor allem das klangliche Sprektrum, das Attrition mit einer Selbstverständlichkeit souverän beherrscht und auf einer Platte ohne Nahtstelle zu vereinen im Stande ist. Auch 45 Jahre nach ihrer Gründung sind sie immer noch das, was sie bereits zu Beginn waren: Eine absolute Ausnahmeerscheinung.


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