Wer Attrition bisher "on stage" verpasst hat, kann nun die Gelegenheit nutzen, mit den vor einiger Zeit veröffentlichten Live- Aufnahmen eine Art historische Aufarbeitung zu betreiben. Kurz nach der Zusammenstellung "Heretic Angels", welche die 99er-Tour durch die USA dokumentiert, erschien "Across the Divide – Live in Holland", ein Album, welches leider noch viel weniger als bei "Herectic Angels" – also so gut wie gar nicht – eine ergreifende Live-Atmosphäre ausstrahlt. Doch schlimm ist das in diesem Fall nicht wirklich. Wie bei einem Studioalbum reihen sich hier acht Titel aneinander (nur hier und da etwas zaghafter Applaus, und der auch noch rigoros abgeschnitten), die 1984, als Attrition zusammen mit den Legendary Pink Dots durch die Niederlande und Schweiz tourte, direkt vom Mischpult auf Tape überspielt wurden. Die Qualität der Aufnahmen, alle komplett von Martin Bowes gemastered, ist so einwandfrei, dass man einfach nicht glauben möchte, dass die Original-Aufnahmen ein Vierteljahrhundert alt sind und für Attrition eine ganz besondere Bedeutung haben dürften. Schließlich dokumentiert "Across the Divide" den ersten Auftritt der Engländer außerhalb ihrer Heimat. Ein wahres Schatzkästchen sollte diese Veröffentlichung für alle Freunde von Attrition sein, denn damit wird nun wieder Songmaterial aus einer Zeit verfügbar, als die Band noch am Anfang ihrer Karriere stand und mit ihrem düsteren Sound eine Atmosphäre zu schaffen wusste, die heutzutage ihresgleichen sucht. Eine in jenen Tagen noch überschaubare Anzahl an Titeln im Gepäck, gingen Martin Bowes, Julia Waller und Ashley Niblock zusammen mit Edward Ka-Spel und dessen verrückten, "pinkfarbenen Punkten" auf Publikumsschau, welche ein voller Erfolg gewesen sein dürfte. Wie viel Zeit seit diesen Aufnahmen vergangen ist und wie sehr sich der Zeitgeist geändert hat, wird jedem, der nur einen Hauch nostalgisch veranlagt ist, beim Hören von „Across the Divide“ (schmerzlich) bewusst. Die unterkühlte, düstere, minimalistische Elektronik, Julia Wallers tief emotionaler, exzentrischer Gesang, der bisweilen ein wenig an Siouxie Sioux erinnert, sowie die dezidiert, aber effektvoll eingesetzte Percussion erzeugen ein derartiges Gänsehaut-Gefühl, wie es zu jener Zeit besonders gut auch der frisch in der Gruft oder Krypta eingespielte Batcave-/Gothic-Sound hinbekam. Songs wie "Across the Divide", "The Outer Edge" oder "Surge and Run" könnten ebenfalls geradewegs aus der Katakombe kommen, lediglich "The Next Day" und "Beast of Burden" sind von einem wavigeren, experimentelleren Einschlag geprägt und legen auch tempomäßig einen kleinen Zahn zu. "Across the Divine – Live in Holland", benannt nach dem 1984 auf der 12"-Platte "Voice of God" erschienenen Song (darauf erstmalig auch veröffentlicht "Reflections", "The Next Day" sowie "The Outer Edge") ist eine besondere, wunderschöne Reminiszenz an die düstere, in sich gekehrte und elektronisch experimentell geprägte Seite der frühen 80er, und zwar für all jene, die die Erinnerung an jene noch in ihrem Herzen tragen und solche, die sie in der heutigen Zeit wieder suchen.