Gerade im Moment habe ich das Gefühl, meine Umwelt teilt sich in zwei Lager: Diejenigen, die so langsam, aber sicher vereinsamen und sehnsüchtig Kontakte herbeisehen und diejenigen, die sich einfach nur Ruhe wünschen, leben sie doch nun seit Wochen und Monaten mit ihren Lieben auf engen Raum zusammen und meistern Doppel- und Dreifachbelastungen. Keinem spreche ich die Berechtigung der Sehnsucht auf eine Verbesserung der Situation ab, aber da wir am Ende in unterschiedlichen Kabinen auf einem Boot hocken, gebe ich jedem das unbetitelte All my faith lost … Album mit auf dem Weg, dass aus Italien zu uns kam, um diesen Stillstand sehnsüchtiger Emotionen musikalisch einzufangen.

Nach 12 Jahren ohne Veröffentlichungsaktivität hören wir neue Klänge dieses wandlungsfähigen Projektes, das im Jahr 2021 für anspruchsvolle und zutiefst ruhige Neo Klassik beziehungsweise Folk (ohne Neo) steht. Musik, so sanft, so schön und melancholisch, dass ich mich an eine ruhige Version von Corde Oblique erinnert fühle. Dabei gelingt den vier beteiligten Musizierenden vor allem Mittels Piano, Violine und Akustikgitarre einen weichen Sound zu erschaffen, in dessen Natürlichkeit die eingesetzten Synthesizer sich kaum bemerkbar machen. All my faith lost … glänzen auch durch durchweg angenehmen männlichen und weiblichen Gesang und auch wenn ich ihre Texte nicht wirklich mitverfolgen kann, da ihr italienisches Englisch mich doch arg an „Eclipse“ von Kirlian Camera erinnert, so kann ich mich dem Geschehen hingeben und genießen. Vielleicht hilft es manchen, sich beim Genuss des Albums die Gemälde der Surrealisten João Ruas, Tara McPherson, Nicoletta Ceccoli und Ray Caesa vor Auge zu führen, deren Eindrücke die Band zu diesem Werk inspirierte. Oder man sitzt schmachtend mit einem Rotwein am Fenster und blickt in die Freiheit, die gerade etwas entfernt gerückt scheint. Grundsätzlich sollte man sich aber Zeit nehmen – dann gewinnt das Album deutlich.

Das auf der Bandcamp Seite zur Verfügung gestellte „Violent dreams II“ kann stellvertretend für das Album als Anspieltipp dienen – All my faith lost … gelingt es 2021, dass die 11 Titel in 52 Minuten ähnlich klingen, ohne zu ermüden, ohne zu verwaschen. Das ist bei der Geschwindigkeit und dem Stil eine respektable Leistung: also nehmt euch ruhig die Zeit.

 

All my faith lost …

Untitled

 

09.03.2021

Cyclic law

 

https://allmyfaithlost.bandcamp.com/album/untitled-2

 

01. Violent dreams II
02. We all die sometimes
03. Nymphs IV
04. The ice princess
05. Keeping time
06. The inconvenience of spirits
07. White thread
08. Awakening the moon
09. Flood
10. Cassandra
11. The night is calm