Wenn sich eine Band lange Zeit läßt, um ein angekündigtes Werk fertigzustellen, schürt dies bei den ungeduldig wartenden Fans bekanntermaßen die Hoffnung auf etwas ganz Großes. So auch bei den „Adversianern“, also den Anhängern des Projekts Adversus. Fast 4 Jahre nach dem letzten Lebenszeichen, der EP „Laya“, war es endlich soweit, daß mit „Der Zeit abhanden“ die Freundesschar zumindest quantitativ reichlich entschädigt wurde. Mastermind Rosendorn war nämlich nicht untätig. Er griff nicht nur für die Liedtexte zur Feder, sondern lieferte zum Silberling gleich ein ganzes Buch. „Elf Märchen für Entflohene“ finden sich neben den Lyrics der Songs in letzterem. Dabei empfiehlt es sich, das Buch schon vor dem ersten Einlegen der CD zu lesen, stellen die Kurzgeschichten quasi der Unterbau dar, auf dem jedes Stück basiert. Meist mit nüchternen Worten im Hier und Jetzt beginnend, wird der Leser alsbald in eine Welt voller skurriler Episoden, Magie, Romantik oder Schrecken entführt. In Anlehnung an den Titel spielt häufig die Zeit eine tragende Rolle, sei es mittels Reisen in die Vergangenheit, Begegnungen mit längst Verstorbenen oder unterschiedlicher Wahrnehmung von Geschwindigkeit. Nur manchmal verbleibt Autor Thorsten Schneyer alias Rosendorn auf einer Zeitebene und selbst die Begebenheiten, welche im Reich surrealer Phantasien stattfinden, werden in einer wohltuend modernen, unprätentiösen Sprache beschrieben (über nicht wenige Druckfehler sehe ich an dieser Stelle mal hinweg). Im Gegensatz dazu gestaltet sich die Musik im typisch adversianischen Stil, den man von früheren Veröffentlichungen kennt. Opulent, um nicht zu sagen bombastisch, kommt der Sound des Oktetts daher, getragen von Sängerin Aysels Sopran und Rosendorns krächzendem Sprechgesang. Allerdings fällt im Vergleich zu den Vorgängern sofort die deutlich härtere Gangart bei den meisten Songs auf. „Brüder“ oder „In des Hades Tiefen“ beispielsweise sind fast waschechte Goth-Metal Brocken geworden, während „Feuersbrunst im Jammertal“ passend zur im Jahre 1386 spielenden Geschichte in Richtung Mittelalterrock tendiert. Aber natürlich sind Adversus nicht auf die Rockschiene zu reduzieren, denn nach wie vor werden Einflüsse von Klassik, Folk sowie moderner Elektronik eingewoben und mit „Dies' minniglich' Lied“, zumindest anfänglich, sogar gefühlvolle Lautenklänge präsentiert. Trotz dieser Vielschichtigkeit fehlt dem Ganzen etwas, nämlich genau das, was eigentlich die ursprüngliche Intention Rosendorns war, die Verknüpfung von Wort und Schall zu einem Gesamtkunstwerk. Kennt man die „Märchen“ hinter den Liedern mit ihren Steigerungen und Wendungen stellt man irgendwann fest, daß jene textlich zwar passend, musikalisch aber keineswegs sensibel umgesetzt wurden. Die feinen Zwischentöne des Buches werden durch den Bombast und die durchgehende Härte des Albums geradezu erschlagen. Und das ist mehr als bedauerlich, da deshalb eine sehr gute Idee letztendlich nach hinten losgeht.