Das Ich - Fanal

Das Ich - Fanal

Es war einmal Ende der Achtziger, in einem Deutschland zwischen Beton, Existenzialismus und Kaltem Krieg. Inmitten einer Szene, die gerade von Depeche Mode-Synths, Punksprüchen und den letzten Resten der NDW vibrierte, tauchten plötzlich zwei junge Männer auf, die alles anders machten: Bruno Kramm und Stefan Ackermann. Die beiden wollten keine Songs schreiben – sie wollten Kunstwerke errichten. Monumente aus Klang, Körper und Sprache. Mit „Gottes Tod“ und „Des Satans neue Kleider“ schufen sie damals nicht nur erste musikalische Provokationen, sondern deklarierten auch gleich noch ein neues Genre: Die 'Neue Deutsche Todeskunst'.

Diese Bewegung war mehr als Musik. Sie war eine ästhetische Revolte gegen Oberflächlichkeit, ein intellektuelles Fanal aus Schwarz, Schweiß und Pathos. Während andere noch über tanzbare Beats sinnierten, rezitierten Das Ich Nietzsche, Benn und Brecht auf dunklen Synthesizern, performten apokalyptische Theaterstücke in Clubs und verbanden Elektronik mit Expressionismus, Philosophie mit Performance. Es war der Beginn einer neuen Zeitrechnung in der Gothic-Kultur – und Das Ich standen mitten im Zentrum dieses schwarz glänzenden Universums.

Mehr als drei Jahrzehnte später ist vieles anders, aber manches unverändert. Die Welt ist lauter, digitaler, hysterischer geworden – und genau da setzen Das Ich jetzt wieder an. Fanal, erschienen am 31. Oktober 2025, ist kein Nostalgiealbum, kein Revival und schon gar keine milde Altersreflexion. Es ist eine Flamme, entzündet aus Wut, Weitsicht und Weltuntergangsromantik – das Werk zweier Künstler, die mehr erlebt, verloren und verstanden haben, als die meisten Influencer in 300 Reels. Schon die ersten Töne machen klar: Das Ich sind zurück, aber sie klingen nicht wie früher. Sie klingen wie jetzt. Kramm zündet synthetische Brände, deren Funken zwischen sakralen Chören, orchestralen Klangwellen und präzise gezirkelten Industrial-Beats flackern. Ackermanns Stimme schneidet durch die Dunkelheit – mal predigend, mal flehend, mal wie ein Prophet, der die letzte Warnung ausruft. Diese Stimme, immernoch unverkennbar, ungebrochen, trägt das Album wie ein Ritual. Sie ist nicht schön im klassischen Sinn – aber sie ist wahrhaftig. Und genau das ist ihr Zauber.

Fanal ist das, was passiert, wenn Künstler nach Jahren der Stille in eine Welt zurückkehren, die ihre düstersten Visionen überholt hat. Die Menschheit als Spezies, die ihre eigene Vernichtung perfektioniert – das Thema klingt nach Dystopie, aber Das Ich machen daraus Hochkultur in Tönen. Zwischen KI-Überwachung, digitaler Selbstvergottung und empathischer Leere spannen sie ein Klangpanorama, das gleichermaßen verstört und elektrisiert. Wer genau hinhört, erkennt die musikalische Raffinesse: Die Beats sind meiner Meinung nach weniger cluborientiert als früher, dafür orchestraler, mit dichten Synthflächen und dramatisch gesetzten Pausen. Wo „Egodram“ einst mit theatralischer Raserei glänzte, regiert hier eine reifere, kontrollierte Wucht. Man könnte sagen: weniger Exzess, mehr Exorzismus. Die Produktion ist klar, druckvoll, ohne sterile Glätte – fast schon organisch in ihrer Kälte.

Lyrisch und inhaltlich liefert Fanal das, was nur Das Ich können: apokalyptische Poesie mit philosophischem Biss. Sie malen die Gegenwart als Inferno aus Überwachung, Demagogie und technokratischer Kälte. „Die neuen Götter sind Algorithmen“, könnte man sagen, „und ihre Tempel heißen Rechenzentren.“ Wo früher „Gott ist tot“ verkündet wurde, herrscht heute ein grausamerer Gott – der Like-Button. Und während Milliarden Menschen scrollend beten, entzünden Das Ich ihr Gegengebet. Doch bei aller Finsternis lodert zwischen den Zeilen Hoffnung. Die Fackel auf dem Cover – ein einfaches, klares Symbol – steht für das, was in Zeiten von Datenströmen und Hetzmechanismen verloren zu gehen droht: Empathie, Vernunft, Menschlichkeit. Fanal ist Mahnung und Trost zugleich, Abgesang und Liebeserklärung an das, was uns noch zu Menschen macht.

Und ja, wer Das Ich kennt, wird hier vieles wiederfinden: das Pathos, die Tragweite, den künstlerischen Mut. Aber sie haben sich weiterentwickelt – musikalisch wie geistig. Es ist das Werk zweier Veteranen, die wissen, dass Kunst nicht aus Gefälligkeit entsteht, sondern aus Notwendigkeit. Natürlich, man könnte Fanal auch als „anstrengend“ empfinden – es fordert neben Konzentration auch Hingabe. Es ist sicher kein Clubalbum welches man auflegt um in der Nebelmaschine zu versinken. Es ist ein Werk, das man erlebt, nicht konsumiert. Wer bereit ist diese Tür zu öffnen, wird meiner Meinung nach mit einem der bedeutendsten Alben der letzten Jahre belohnt. Das Ich haben ihre eigene Prophezeiung erfüllt. Wo einst „Gottes Tod“ stand, leuchtet nun ein neues Feuer. Fanal ist kein Rückblick, sondern eine Wiedergeburt – ein Leuchtfeuer gegen das Vergessen, gegen die Verdummung, gegen das digitale Nichts.

Ein Werk, das beweist: Die Neue Deutsche Todeskunst lebt – nicht als Nostalgie, sondern als Notwendigkeit. Und so bleibt am Ende nur ein Satz, der all das zusammenfasst: Dieses Album ist kein Soundtrack zur Apokalypse. Es ist die Apokalypse – nur schöner vertont.

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