Wenn es tatsächlich ein Land gäbe, in denen unser geliebter Synthpop auf seine alten Tage noch einen „Boom“ erlebte, dann wäre dies zweifellos Russland. Binnen weniger Jahre ist aus dem weißen Fleck der elektronischen Poplandkarte ein Schmelztiegel neuer, interessanter Bands geworden, von denen es einige Protagonisten wert wären, von einer breiten Hörerschaft entdeckt zu werden. Ganz zuvorderst ist sicherlich das Königsberger Trio „Want/ed“ zu nennen, das 3 Jahre nach seiner Gründung bereits die stattliche Zahl von 9 Veröffentlichungen aufbieten kann. Die Discographie umfasst neben dem Debütalbum diverse Singles und Remix-Compilations, doch die scheibchenweise Anreichung diverser Appetithäppchen darf nicht verhehlen, dass die Fangemeinde nach einem neuen Fulltime-Album lechzt. Und wie auf Kommando flatterte jüngst der Nachfolger des erfolgreichen Debüts „A Few Steps Behind The Sun“ in meine Mailbox. Er hört auf den wunderbaren Namen „Harmony Under Construction“ und wer denkt, das Soundbild könne sich diesem verheißungsvollen Titel nahtlos fügen, der liegt nicht ganz falsch. Denn um es vorweg zu nehmen: „Want/ed“ arbeiten auch auf ihrem am 22.11. erscheinenden Album hart an der Produktion unverwechselbarer Harmonien, schaffen es jedoch trotz kreativer Ansätze nicht, den einen über allem stehenden Song zu liefern, der den Prozess der Harmoniekonstruktionen zu einem final befriedigenden Resultat hätte bringen können. Der Start ins neue Want/ed Klanguniversum mutet zunächst verstörend an. Ausgerechnet der Opener „Lust“ gehört zu den sperrigsten Liedern, die das russische Synthpopreich je verlassen haben. Auch „Sweet Time“ hat zwar pluckernde Drumsequenzen zu bieten, doch dieses Fundament wird dank eines disharmonischen Refrains in Teilen wieder zerstört. Eine clevere Irreführung des Hörers, denn mit „Show Me“ und „Special“ folgen anschließend die absoluten Ohrwürmer der Scheibe. Osteuropäische Melancholie fusionieren gekonnt mit hoffnungsfrohen Melodiebögen, so dass der auf dem Erstlingswerk etablierte Trademarksound um ein Fortsetzungskapitel ergänzt wird. „Dreams Are Not The End“ läutet einen balladesken Zwischenstopp ein, bei dem mir der Gesang ein wenig zu sehr in den Hintergrund programmiert wurde. Im zweiten Albumteil wird zudem eine weitere Eigenart des Want/ed-Sounds offensichtlich: Alle Titel sind mit extremer Fokussierung auf einen tiefen Bass produziert worden. Auf diese Weise bebt bei gehobener Lautstärke zwar der Boden unter den Füßen und die Türe für regelmäßige DJ-Playlist-Berücksichtigung wird weit aufgestoßen, aber die Ausdifferenzierung des Mittel- und Hochtonbereichs bleibt bisweilen im wahrnehmungsfernen Bereich. Schade, denn das Songwriting ist über jeden Zweifel erhaben. Die Hymne „The More We Want“, das äußerst tanzbare Instrumental „Full Of Grace“ und der heimliche Hit „Is Good“ zeigen auf, wie vielseitig und tiefgehend die Outputs der Koenigsberger Elektroniker doch sein können. Mit „Under Skies“ setzt das Album nach knapp 45 Minuten noch einen sehr interessanten Schlusspunkt, der insofern überraschend daher kommt, als dass sich hier zum ersten Mal Sprechgesang, ein zweistimmiger Kanon-Chorus und brüchige Pianoparts vereinen. Der Wiedererkennungswert sinkt an dieser Stelle zwar beträchtlich, gibt aber womöglich einen Ausblick auf die zukünftige musikalische Richtung der Band: Harmonien bleiben „under construction“ – und couragierte Experimentierfreude findet verdiente Aufnahme ins Baukonzept.