Wer unter dem Titel „Gotham Vol. 1“ den neusten Batman-Comic oder im Zusammenhang mit Musik den Soundtrack zu einem Film des maskierten Superhelden vermutet, ist in diesem Falle schief gewickelt, denn was hier unter dem etwas verfänglichen Namen daherkommt, ist nichts anderes als die zungenfreundliche Abkürzung von „Goth[ic] A[nthe]m“ mit dem erklärenden Untertitel „A Collection Of European Gothic Music“. „European Gothic Music“ ist natürlich ein sehr weit gefaßter Begriff, doch bereits ein erster Blick auf die Tracklist macht klar, daß wir es hier hauptsächlich mit gitarrenorientierten Stücken zu tun haben, wobei sich neben bekannten Namen wie z.B. Monica Richards, In My Rosary, Love Is Colder Than Death oder Inkubus Sukkubus auch Bands tummeln, von denen ich selbst noch nie gehört habe. Es bleibt also eine spannende Angelegenheit als ich die Scheibe in den CD-Player einlege... ...und die Lauscher sogleich mit angenehm dunklen Gothrock von Dronning Maud Land verwöhnt werden. Ein gelungener, beinahe klassischer Einstieg, schließlich ist „Alpha Omega“ keineswegs neu, sondern stammt vom 2003er Album „Bedlam“. Ebenfalls schon ein paar Tage auf dem Buckel hat das folgende „Absolute Oblivion“ (2005, aus „Dyskronile Circus“) der französischen Formation Violet Stigmata, das sich stilistisch nahtlos an den Opener anschließt. Danach folgt ein kleiner geographischer Ausreißer über den großen Teich zu Monica Richards (Faith And The Muse / Strange Boutique). Sie covert mit „We Are The One“ einen Titel der amerikanischen Band „The Avengers“ und begibt sich mit ihrer wundervollen Stimme in wavige Gefilde, bevor In My Rosary die Akustikgitarre zu ihrem exklusiv für diesen Sampler eingespielten Stück „Tiny Black Birds“ anstimmen und die sonore Stimme Ralf Jesek's für Gänsehaut sorgt. Anschließend kommt wieder die holde Weiblichkeit zum Zuge in Form von Sängerin Chloé St. Liphard, die mit ihrer Band Collection D'arnell-andrea zu den Urgesteinen des Dark-/Cold Wave gehört und hier mit dem treibenden „I Can't See Your Face“ (2007, aus „Exposition-Eaux Fortes & Meandres“) im reizvollen Kontrast sowohl zum vorhergehenden Track als auch zum folgenden „Scottish Rain“ (2004, aus „Chapter VI) der deutschen Gruppe Tors Of Dartmoor steht. Während letztgenannte solide gotische Gitarrenmusik abliefern, horcht man bei KOMU VNYZ erstaunt auf. Nicht nur die russischen Lyrics der 1988 in der Ukraine gegründeten Band wirken ungewohnt, auch die tiefe Stimme von Andriy Sereda und Volodyslav Malyugin sowie die Verbindung von Folklore und Rock mit Industrial-Elementen zaubern sicherlich nicht nur auf mein Gesicht ein Lächeln. Aus Kiev zurück nach Deutschland, genauer gesagt zum einzigen deutschsprachigen Titel. Wolf Koch's (Tors of Dartmoor / Iceberg Model) und Alexander Sterzel's (Iceberg Model / Romeo Is Bleeding) Projekt Wolf widmet sich sowohl textlich als auch musikalisch dem „Glas“ (1994, aus „Generator 11“). Vor dem Geräusch zersplitternden Glases wird der Hörer mit monotonem Sprechgesang in die Herstellung und Zerstörung des zerbrechlichen Materials eingeführt. Ein experimenteller Abstecher, der von Love Is Colder Than Death fortgeführt wird, allerdings auf ganz andere Art und Weise. Das Leipziger Quartett verknüpft bei „Wanabi“ (2003, aus „Eclipse“) Tribaldrums und Digeridoo mit europäischem Darkwave und sorgt damit für für exotisches Flair. Im Gegensatz dazu liefern Printed At Bismarck's Death die eher unspektakuläre Vertonung eines Textes von James Joyce ab, während die britischen Paganrocker Inkubus Sukkubus mit dem Titelsong des gleichnamigen Albums „The Beast With Two Backs (2004) in ihrem unverwechselbaren Stil ordentlich nach vorne gehen. Ruhiger wird’s dann wieder bei „Nothing Changes“ von Another Tale. Ein gefälliger, nachdenklicher Track der deutsch-französischen Kollaboration aus dem 2001 erschienenen Album „Frozen Eyes“. Ebenfalls mit einem getragenen Intro startet die finnische Combo Sillan in ihr neues Stück „Öisin“, bevor die Gitarren mit harten Riffs einbrechen und zeigen, wie der Hase im Land der Seen läuft. Ein schweres Gothrock-Werk, das sich nach und nach entwickelt, überraschend mit einem Telefonat endet und damit direkt zum letzten und ältesten Song der Compilation überleitet. „We Take All“ der deutschen Dark-Wave Formation Iceberg Model stammt sage und schreibe aus dem Jahre 1990 hat jedoch nichts von seiner Frische eingebüßt und läßt die CD schwungvoll ausklingen. Derweil zuckt mein Finger schon ungeduldig in Richtung Repeat-Taste, doch zuvor muß ich noch ein paar Worte als Fazit zu Papier bringen. Was Gotham Vol. 1 auszeichnet, ist vor allem die liebevolle, homogene Songauswahl durch Syborg-Labelchef Wolf Koch, der damit nicht nur seine eigenen Projekte wieder in Erinnerung ruft, sondern auch einigen altgedienten Bands, denen bisher zu Unrecht der große Erfolg versagt blieb, eine aktuelle Plattform gibt. Das macht den Sampler zu einem kleinen, nostalgischen Schmuckstück für die älteren Schwarzkittel aber auch zu einem hübschen Geschichtsbuch für die jüngeren, die damit vielleicht endlich verstehen, warum wir (die Älteren) immer sagen, daß früher alles besser war... ;-)