„Und wenn das alles ist, dann wollen wir anders sein...“, lautet die Refrainzeile des diese Compilation eröffnenden Songs von Blutengel, dem kommerziell erfolgreichsten Projekt von Chris Pohl. Ja, das Berliner Label Out Of Line hatte sich seit der 1995 erfolgten Gründung auf die Fahnen geschrieben, „andere“, alternative Musik abseits des Mainstreams zu fördern und ward damit verkaufstechnisch erfolgreicher als so ziemlich jede andere Plattenfirma der schwarz-elektronischen Szene. Allerdings formierte sich parallel zur steigenden Erfolgskurve auch ein nicht gerade kleiner Kreis an Kritikern, die dem Artist-Roster und seinen Veröffentlichungen beschieden, stark auf aktuelle Trends zu schielen und primär leichtverdauliche Konsenskost zu servieren. Unbestritten dürfte sein, dass in den vergangenen Jahren neue musikalische Schwerpunkte gesetzt wurden und sicher nicht jedes Release das Zeug zum All-Time Klassiker hatte. Beim Rezensenten der jüngst erschienenen Compilation „Electrostorm Volume 3“ reüssierten vor allem die vor Superlativen strotzenden Presseinfos zu Vorzeigebeispielen, wie man es als Label schaffen kann, bereits vorab eine skeptische Grundhaltung beim Hörer zu erzeugen. So habe ich die Werbetexte zur aktuellen Werksschau, die 19 Titel von derzeit bei Out Of Line unter Vertrag stehenden Bands beinhaltet, geflissentlich übersehen und somit komplett unvoreingenommen die Ohren gespitzt. Die erwähnten „Blutengel“ eröffnen mit einem unverfänglichen Electro-Pop Song, der niemandem wehtut, bevor mit „Alpha Point“ der Gewinner des „Battle of the Bands“-Talentwettbewerbs vom Sonic Seducer das erste Highlight setzt. „High like the angels“ ist eine einprägsame Crossovernummer, die Industrial-Gitarren, Future-Pop und klassische Synthharmonien vereint und damit definitiv neugierig auf das gleichnamige Album macht. Mit „Chrom“ hat Out Of Line eine weitere Neuerwerbung mit gehörig Potenzial am Start, was das erfreulich klischeefreie Future-Pop Stück „Memories“ beweist. „Kaleid“ an Position 4 kann mit dem hypnotisch-chilligen „Hysteria“ das Niveau noch halten – anschließend geht es mit „Pakt“, der neuen Band der Ex- And One Mitglieder Chris Ruiz und Gio van Oli jedoch bergab. Die Produktion ist recht fett, doch der Gesang, die platten Lyrics sowie der verramm(stein)schte Refrain sind die Zutaten des ersten echten Spaßkillers auf der Platte. Die nächsten 12 Minuten wird vor dem Mikrofon mehrheitlich sinnlos gegrunzt, erst Kirlian Camera bieten mit „Nightglory“ wieder einen interessanten Song, der sicher nicht Aufnahme ins „Best Of“ der Band finden dürfte, aber zumindest Hoffnung auf eine abwechslungsreiche zweite Compilationhälfte weckt. „Auto-Auto“ mit minimalistischen, sperrigen Electrosounds und „Javelynn“ (Ex-Sängerin von Ashbury Heights) mit flotten Poprhythmen fallen in die Kategorie „nett“ – wohlgemerkt ohne insinuierte Verwandtschaftsbeziehungen zur kleinen Schwester namens „Scheiße“. Der verbliebende Rest ist mir persönlich zu aggro, doch Freunde des härteren Electros dürfen bei etablierten Bands wie „Hocico“ gerne ein Ohr riskieren. „Gecko Sectors“ Beitrag hätte auch auf dem „Chrom“-Album Platz finden können und „Forgotten Sunrise“ sorgen mit einem Dark Wave-Gothic Mix für einen ansprechenden Abschluss der wilden Electro-Reise. Sicherlich mag man gute Gründe haben, den Sinn eines Samplers zu hinterfragen, der keinerlei exklusives Material bereitstellt, sondern lediglich einen Querschnitt des aktuellen Labelkatalogs präsentiert. Aber für knapp 7 Euro, so die unverfängliche Preisempfehlung, bekommt der Käufer endlich eine faire Chance, den Wahrheitsgehalt der OOL-Werbetexte mit eigenen Ohren zu überprüfen. Kann man machen.