Heute am Sonntag wollen wir wieder einmal einen Blick zurück in vergangene Zeiten wagen – genauer gesagt ins längst vergangene Jahr 1992. Also vor über dreißig Jahren – als Windows noch DOS brauchte und EBM ein Lebensgefühl war, das nicht aus dem Algorithmus kam. Damals erschien auf dem legendären Label Zoth Ommog der Sampler 'Body Rapture II' – und wer etwas auf sich hielt im schwarzen Clubkosmos, hatte das Teil entweder im CD-Regal stehen oder als raubkopiertes Exemplare irgendwo in der Jackentasche verstaut. Es war eine Art musikalisches Jahrbuch der frühen 90er-Szene, eine Nachtwanderung durch Basslines, Verzerrung, Maschinenlärm und romantischen Weltschmerz.
Vier Tracks ragen hier für mich bis heute besonders leuchtend – oder besser: flackernd – heraus. Les Berrtas schickten uns mit ‘Der Knochenschäler’ aus dem Album 'Nekropolis' in eine groteske Industrialszene irgendwo zwischen Pathologie und dadaistischer Tanzperformance. Schon der Titel klingt wie das Lieblingsmärchen eines mittelprächtig traumatisierten Metzgers. Aber dahinter steckt ein musikalisches Kleinod des abseitigen Humors, made in Karlsruhe. Das Projekt rund um Kai Neugebauer und Micha Chainsaw verstand es wie kaum ein anderes, klangliche Gewalt, dadaistische Texte und einen Hauch bösartiger Kabarettästhetik zu einem Sound zu verbinden, der keinem Genre gehorcht – außer vielleicht dem der gepflegten Verstörung.
Calva Y Nada wiederum – das Herzensprojekt von Mastermind Constantin Warter alias Breñal – flüsterten mit ‘Rascheln’ ein intellektuell-surrealistisches Mantra ins Ohr, das gleichzeitig verstörte und faszinierte. Wer hier tanzt, denkt mit. Oder grübelt wenigstens stilvoll. Brenãl verband Beats mit literarischem Anspruch, melancholischer Tiefe und einer Klangwelt, die nach urbayerischer Einsamkeit klingt. Ein akustisches Gedicht für alle, die beim Tanzen auch mal ins Leere starren.
Deine Lakaien machten mit dem ‘3rd Mix’ von ‘Dark Star’ klar, dass Tiefgang und Tanzbarkeit sich nicht ausschließen müssen – hier wurde ein melancholischer Klassiker mit einem elektronischen Rückgrat versehen, das auch den Tanzflächen damals Respekt abrang. Alexander Veljanovs dramatischer Gesang trifft auf Ernst Horns klanggewordene Theatralik, ohne in Kitsch abzugleiten. Ein Song für den inneren Monolog im Nebel.
Und ja, auch die Krupps servierten auf der CD mit ‘Metal Machine Music’ den rostigsten und wuchtigsten Hybrid aus EBM und Stahlgitarren, der je aus Düsseldorf exportiert wurde. Nein, keine Lou-Reed-Hommage, sondern ein Maschinengewitter mit fettem Einschlag. Gitarren, die nicht spielen, sondern schleifen. Beats wie Presslufthämmer. Und darüber: Jürgen Englers heisere Kampfansage an die Welt. Wer behauptet, Industrial Rock sei ein amerikanisches Phänomen – hier ist der deutsche Gegenbeweis mit Bleikern.
Doch auch abseits dieser Höhepunkte wusste die Compilation zu überzeugen. Evils Toy lieferten mit ‘Inside Out’ frühen, knarzigen Electro-EBM, der schon andeutete, wohin sich das Duo später entwickeln würde – irgendwann Richtung Future Pop. Suicide Commando klangen mit ‘Save Me’ noch nicht ganz so brachial wie später, aber die DNA war bereits tödlich verdichtet: Johan Van Roys typische Mischung aus Verzweiflung und kalter Präzision. Placebo Effect hypnotisierten mit ‘T.H.C.’ und bewiesen, dass Wahnsinn auch atmosphärisch sein kann – das Ganze klang wie ein fiebriger Albtraum auf Valium. Und dann wären da noch Systema The Affliction, Digital Decay, Genetic Terrorists und Numb – Namen, die teils im Nebel der Szene verschwunden sind, aber auf dieser CD einen dunklen, tanzbaren Abdruck hinterlassen haben.
'Body Rapture II' ist ein Zeitdokument – eines, das nicht in Museen gehört, sondern ins Soundsystem. Wer wissen will, wie sich die frühen 90er im Club anfühlten, als das Schwarz noch tief und das Bier noch billig war, wird hier fündig. Und wer das alles miterlebt hat, wird beim ersten Basslauf wahrscheinlich mit dem Kopf nicken und denken: Verdammt, das war Musik.
Various Artists - Body Rapture II

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