Dem deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt geht es ja bekanntlich seit Jahren schlecht. Die Branche klagt über fehlende Anzeigenkunden und Umsatzeinbrüche. Aus der Not machte die Süddeutsche aus München im vergangenen Jahr eine Tugend und brachte eine eigene Buchreihe auf den Markt. Die verkaufte sich so gut, dass der Verlag nach der „Bibliothek“ gleich noch eine „Cinemathek“ und „Klassik“ produzierte. Ebenfalls nach dem gleichen, simplen und doch erfolgreichen Prinzip. Redakteure und Autoren der Süddeutschen Zeitung wählen Klassiker und Meilensteine aus, kommentieren und präsentieren diese unter dem Namen Süddeutsche. Und wen wundert’s, nun ist auch die neue Sammlung der SZ im Handel erhältlich – die „Diskothek“. 1955 bis 2004 - 50 Jahre Popmusik, 50 Bände, 50 CD’s á 20 Songs. Das macht, nach Adam Ries, zusammen 1000 Songs, hunderte Fotos und dutzende wunderbare Geschichten von A wie Peter Alexander bis Z wie Frank Zappa. Das Jahr 1978, wer erinnert sich nicht, war eines der langweiligsten des vergangenen Jahrhunderts. Gut, Sigmund Jähn fliegt als erster Deutscher ins All und ja, Johannes Paul II. – Gott hab ihn seelig – wird Papst, bevor wir alle Papst werden. Aber ansonsten nichts, kein großes Ereignis. Keine Mondlandung, kein größeres Attentat oder gar ein Krieg. Nichts. Popgeschichtlich ging es dagegen ziemlich nach vorn. Punk ist tot – es lebe Disco. Dokumentiert wird dieser Wechsel durch eine Fotostrecke. Das Jahr in Bildern - Fotos von Bühnen und Gigs, von Politik und Gesellschaft aber vor allem mit den Gerichten des Jahres. Ich sage nur: Spargelmus auf kalter Krebssoße, legierte Kräutersuppe mit Wachteleiern und Jakobsmuschelsuppe mit Safranfäden. Lecker. Doch zurück zur Musik, ist ja schließlich kein Kochbuch für Hobbyköche. In einem wunderbaren Essay erläutert der Mitherausgeber der „Diskothek“, Philipp Oehmke, die beiden wichtigsten musikalischen Strömungen des Jahres – Punk und Disco. Und er erläutert auch, warum die eine von der anderen abgelöst werden musste. Das es keinen Platz mehr gab für die Sex Pistols und The Clash. Das schräge Frisuren durch noch schrägere abgelöst werden mussten, weil sich die Punkbewegung selbst überflüssig machte. Aus den Ghettos der USA wehte ein neuer Wind, der Sturm im berühmt-berüchtigten „Studio 54“ in New York. Sex und Drogen statt Anarchismus und Nihilismus. Musikalisch bewegt es sich ebenfalls zwischen diesen beiden völlig verschiedenen Musikstilen. Die Art-Punk-Band „Wire“ eröffnet den Sampler und wird vom Disco-Tanz-Ensemble „Chic“ abgelöst. Anschließend singt der wunderbare Paul Weller „Down in the tube station at midnight”. Hervorzuheben wären dann noch die jugendliche, in der BRD angekommene Nina Hagen, Max Berlin, Lew Kirton und die „Buzzcocks“. Hört es Euch an. All’ die Mando Diao’s, die Bloc Party’s, The Hives – alles nur müder Abklatsch, gegen diese erste echte Indieband aus Manchester. Erwähnenswert wäre auch die Rubrik „Zum Weiterhören“. Unter jeder Songgeschichte werden Tipps zum Weiterhören gegeben. Längst vergangene Platten können nun gezielt aus der Kiste geholt und entstaubt werden. Das musikalische Jahresende läutet kein anderer als Marvin Gaye ein. Eine Stimme wie Seife, wie ein warmer Sommerregen. Mit seinen Worten: „Oh, I know, I know, you need love. We need love”. Und wir brauchen mehr solche Bücher. Mehr solche längst vergessenen Melodien. Die Geschichten und die Gerichte des Jahres. Guten Appetit!